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GRAFENECK EUTHANASIE 1940

DER CHRISTLICHE GOTT BRINGT KRIEG
von Hellmut G. Haasis (16. 10. 2005, korrigiert 14. 2. 2006)

Im ehemaligen württembergischen Jagdschloss Grafeneck bei Münsingen (Schwäbische Alb) wurden im Jahr 1940 genau 10 654 Kranke und Behinderte ermordet, durch die nationalsozialistische Euthansasieaktion T4.

Keiner der Ärzte wurde von der Justiz deshalb verurteilt.

Nach dem Krieg übernahm die evangelische Kirche wieder die Einrichtung und tat ihr Bestes, Spuren der Vergasung auszumerzen. 1965 wurde die Garage abgerissen, wo die Vergasungen durchgeführt worden waren.

Man wollte nicht erinnert werden.

Seit 25 Jahren bemühen sich geschichtsbewusste Zeitgenossen, in Grafeneck eine Gedenkstätte zu errichten. Nach der überzeugenden Mitteilung des wissenschaftlichen Mitarbeiters der Gedenkstätte Thomas Stöckle hat an der jetzigen Verwirklichung der Heimleiter Sachs wesentliche Verdienste, ohne den das mühevolle Unternehmen nicht gelungen wäre.

(Mit dem letzten Satz korrigiere ich meine anderslautende Aussage in der ersten Fassung. Ich saß einer Fehlinformation auf, für die ich mich entschuldige. Niemand ist gefeit gegen vorschnelle Schlüsse. Ich hätte gewissenhafter sein müssen. Pardon.)

Die Gedenkstätte ist gelungen, ihr Besuch ein wichtiger Kontrapunkt zur schönen Umgebung. Auch eine noch so angenehme Natur sollte uns nicht von problematischen Seiten unserer Gesellschaft, unserer Geschichte ablenken.

Heute nun wurde das Dokumentationszentrum eröffnet.

Die theologische Gestaltung der Eröffnung halte ich für höchst problematisch, deutlicher: für eine geistig-moralische Katastrophe. Sie schlug sich nieder im Gottesdienst, der als offizieller Teil galt und zu besuchen war. Der Reutlinger Prälat Claus Maier, Stellvertreter des Landesbischofs, hielt die Predigt und legte ein Stück aus dem Matthäus-Evangelium (Kapitel 10) zu Grunde.

Der Prälat war so sehr überzeugt, dieser Text passe zum Anlass, dass er ihn in der Einladung ausführlich abdrucken ließ.

Zitieren wir diese Ungeheuerlichkeit, dem Christentum zur Schande:

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.

Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“

Man sollte dieses christliche Gewalt-Geschwätz ruhig mehrere Male lesen. Also bitte gleich zweimal wiederholen. Lasst euch Zeit. Die Geschichte des Christentums ist voll mit solchen Ausfällen.

Ich darf das sagen, ich habe als kirchlich geprüfter evangelischer Theologe den Jagdschein dafür.

Mit diesem Text kann man sich mitleidend in die lange Geschichte des christlichen Terrors gegen Andersdenkende hineindenken.

Und in die freudige Befürwortung aller Kriege durch Christen, inklusiv der serbischen Orthodoxie in der Gegenwart.

Wahrlich: diese Religion ist nicht gekommen, Frieden zu bringen. Unendlich viele der Krieg führenden Nationen bestanden und bestehen aus Menschen, die als Säuglinge willenlos in die Kirche hineingetauft worden waren.

Und das Sakrament der Taufe ist ja immer gültig und wirksam – behaupten die Missonare der Zwangstaufe.

Adolf Hitler hätte keine Schwierigkeiten gehabt, sich mit dem vom Reutlinger Prälaten ausgewählten Bibeltext zu identifizieren. Damit kann man jeden Bürgerkrieg rechtfertigen.

Das ist die Haltung von gewalttätigen Sektierern.

Mit diesem Evangeliumstext nun der 10.654 Opfer der Euthanasiemorde von Grafeneck zu gedenken, stellt einen wahrlich ausgereiften Schwachsinn dar.

In den Reden zur anschließenden Eröffnung des Dokumentationszentrums schwärmte man davon, das Gedenkbuch (mit den Namen von bisher 8.000 bekannt gewordenen Ermordeten; das Verdienst für diese Arbeit liegt bei Thomas Stöckle) gebe den Opfern „ihre Würde“ zurück, verschaffe ihnen „Identität“.

?????

Geschwafel und eine rührende Verharmlosung. Geben wir unsere Hilflosigkeit doch ehrlich zu: An den Toten lässt sich nichts mehr gutmachen.

Um ihre Erinnerung kümmern wir uns wegen unseres eigenen Lebens. Wir wollen nicht enden wie sie, niemand soll aus dem Leben getreten werden.

Aber wir wollen nicht die christlichen Gewaltprediger und Schwachsinnsprediger dazu hören, wenigstens nicht offiziell. Was sie in ihren überschaubaren Zirkeln verzapfen, kann uns egal sein. Da bin ich furchtbar tolerant.

Nur öffentlich haben sie solchen Gewalt verharmlosenden Unsinn zu unterlassen.

Bei der Strafe gnadenloser Kritik.

Zum emotionalen Hintergrund meiner Kritik: Eine Tante von mir wurde 1940 in der Garage von Grafeneck vergast.

Das lange Schweigen Württembergs hat mich immer erbost. Nur meine Mutter sprach manchmal davon, selten.

Könnten die Herren Doktoren und Professoren, die mich 1971 an der Universität Tübingen mit einer fertigen Dissertation über „Mündigkeit. Geschichte und Kritik einer bürgerlichen Emanzipationsforderung“ hinauswarfen, meine hilflosen Zeilen lesen – sie würden strahlen, vornedran Jürgen Moltmann, mein angeblicher „Doktorvater“, tatsächlich ein Weichei der höchsten Stufe.

„Welches Glück, dass wir diesen Nestbeschmutzer nicht promoviert haben.“

Ich hab mich später auf meine Weise bedankt, durch Quellen bewiesen und in einer großen Biografie dargestellt: der jüdische Bankier und Geschäftsmann Joseph Süß Oppenheimer wurde 1738 in Stuttgart unter ausdrücklicher Zustimmung des evangelischen-württembergischen Kirchenrates am Galgen hingerichtet. Die Kirchenoberen votierten einstimmig für den Justizmord.

Ich habe von keinem Theologen, gar Kirchenmann je einen Satz dazu hören oder lesen können. Aber vielleicht irre ich mich. Ich warte auf Berichtigung.


 

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