haasis:wortgeburten

GEORG ELSER
„Den Hitler jag ich in die Luft“

völlig umgearbeitete und stark erweiterte neue Ausgabe.
NAUTILUS Hamburg, 400 Seiten. 33 Fotos (viel neue)

Viel Neues in Haasis’ umgearbeiteter und erweiterter Elser-Biografie
von Wladimir Krutthofer (Moskau)

Zum 70. Jahrestag von Elsers Tat (8. Nov. 2009) legt der in Russland seit einiger Zeit mit Erstaunen beobachtete Elser-Biograf seine Arbeit von 1999 völlig überarbeitet und stark vergrößert vor. Aus 280 wurden 400 Seiten, darunter 33 Fotos, viele neu.

Beeindruckend wirken drei unbekannte Karikaturen, zwei von den Nazis, eine von der Süddeutschen Zeitung (1946). Wir finden von Elser Fotos, die nur in der Schweiz überliefert sind. Da staunten meine Kollegen in Moskau, was die Schweizer nicht alles sammeln. Diese Bilder zeigen Elser privat und als Opfer der Gestapo-Folterungen. Seitdem sagen wir: Der nächste Betriebsausflug geht nach Bern ins Schweizer Bundesarchiv.

Gelungen wie das Finale eines Meisterkonzertes berührt uns der Schluss der Fotosammlung: Zwei (leider) amerikanische Soldaten schlendern erstaunt an der zerstörten Berliner Gestapozentrale vorbei. Der Spuk ist aus und alles kaputt.

Wer die erste Auflage der Haasis-Biografie von 1999 vergleicht, wird die glückliche Weiterentwicklung sofort bemerken. Elser ist mehr als ein früher, weitsichtiger Hitlergegner.

Haus in Heidenheim-Schnaitheim. Hier hörte Elser „Radio Moskau“ mit Warnungen vor Hitlers Kriegspolitik.

Der werte Kollege Haasis lernt Elsers geistigen wie technischen Fähigkeiten schätzen. Dabei schlägt er einen leichten Ton ein, wie wir es bei dem Thema nicht erwarten – und früher nicht einmal hätten lesen dürfen.

Ihn verwundert im neuen 1. Kapitel, dass Elser selbst bei Wohlmeinenden nur als „einfacher Schreiner“ gilt, als „schlichter Handwerksgeselle“. Darin sieht der Autor sehr richtig die Arroganz von Kopfarbeitern gegen Handarbeiter, die oft nicht so viel quasseln wie Intellektuelle. Recht so, da können wir nur gratulieren!

Elser war für Haasis kein kommunistischer Fanatiker, wie man in Deutschland nach dem Krieg meinte, um den frühen Warner vor dem Krieg zu diskreditieren. Er war vielmehr ein libertärer, ein freiheitlicher Sozialist, mit dem Wunsch, mit anderen zusammen unter möglichst wenig Hierarchie zu arbeiten und zu leben.

Dies zu betonen, ist mir ein persönliches Bedürfnis, weil in diesem Punkt mein Volk durch eine böse Schule gegangen ist. Elser war das Gegenstück zum autoritären Menschen, insofern ist er sehr modern – und wird es bleiben. Elser übte gegen niemanden Zwang aus, Andersdenkende ließ er so, wie sie waren, aber er verschwieg seine Meinung gegen Hitler nicht.

Haasis rundet den persönlichen Bezug ab im neuen Schlusskapitel: „Elsers Persönlichkeit – ein Rätsel?“ Dabei stützt er sich auf Aussagen von Elsers Geschwistern nach 1945, die von den deutschen Geschichtsschreibern nie ernst genommen wurden. Von den früheren sowjetischen wollen wir gleich gar nicht reden, die kannten Elser überhaupt nicht.

Elsers Persönlichkeit zeigte sich in großzügigen Gesten, seiner Selbstlosigkeit, seinem Drang, andern praktisch zu helfen, seiner scharfe Beobachtungsgabe, seiner Geduld, seiner schauspielerischen Fähigkeit, in widrigen Umständen durch Schweigen ungeschoren durchzukommen und nicht aufzufallen.

Uns beeindruckt ungeheuerlich, dass Hitler spürte, wie überlegen Elser ihm war. Hitler hatte einen hohen Respekt vor Elser. Dieser schwäbische Schreiner (was sind denn die Schwaben für eigenartige Leute? denken wir hier in Moskau immer wieder) war der einzige Gegner, an dessen Anblick Hitler sich nicht weiden wollte.

Während der Reichskanzler und oberste Feldherr sich immer wieder an einem Film über die Hinrichtung der 20. Juli-Widerständler aufreizte, wollte er einen heimlich aufgenommenen Film mit Elsers Verhör nie sehen.

Elser blieb ihm ein unlösbares Rätsel. Hier erreicht der Autor die größte Dichte seiner scharfen Sicht. Respekt!

Für mich das schönste Bild von Georg Elser.

Anschaulich arbeitet Haasis heraus, wie Elsers Freundin Elsa in Berlin acht Stunden von Hitler verhört wurde, ohne etwas zu essen zu bekommen. Elsa brach in Berlin mehrfach unter den Verhören zusammen.

Auch sie bestätigte, dass Elser ein geschickter, sehr intelligenter Tüftler war. Alle trauten ihm die komplizierte Sprengmechanik zu. Diese Schwaben sind fast unheimlich, hätten sie nicht auch so talentierte Dichter in ihren Reihen.

Ein hohes Lob bekam Elser später sogar von der Gegnerseite. Uns erscheint es als sehr wichtig, dass man ein Konfliktfeld von allen Seiten betrachtet, auch vom absolut boshaften Gegenstück.

Dem Kripochef wie dem Auslands-Spionagechef der Nazis erschien Elser mit seinem klugen Gesicht überhaupt nicht als kommunistischer Bombenleger. Er erinnerte sie vielmehr an den Typ eines klugen Handwerkers. Wir hätten nicht gedacht, dass in Hitlers Umgebung so helle Köpfe sich halten konnten.

Haasis schreibt, Elser sei lange als maulfaul beschrieben worden. Was ist denn das? Wir verstehen das hier nicht ganz, vielleicht meint Haasis, jemanden, der seinen Mund ungern auftut, außer halt zum Essen und Trinken?

Wie Freunde schilderten, sprach Elser durchaus viel, aber nur wenn es nötig war. Elser machte seine Probleme in seinem Inneren mit sich selbst aus, er hielt sich nur an sein Gewissen. Hierin erscheint er uns als ein echter Protestant. Ein Typus, der unter Stalin nicht aufkommen konnte.

Die Neufassung der Biografie belegt mit kriminalistischer Fähigkeiten eine wichtige Entdeckung: Elser kam schon 1936 die Erkenntnis, dass Hitler auf einen neuen Krieg zusteuere. Hier müssen unsere ganzen bisherigen Ansichten über Elser umgeschrieben werden.

Elser machte diese Entdeckung mehr als ein Jahr, bevor sich Hitler vor seinen eigenen Generalen darüber aussprach (die berühmte Hoßbach-Niederschrift vom November 1937).

Zur selben Zeit wie Elser beobachtete der Schweizerische Generalstabschef Veränderungen in der Wehrmacht. Er verständigte sich mit seinem Kollegen in der tschechoslowakischen Armee. Prag und Bern waren gewarnt. Elsers Voraussicht hatte europäisches Format. Es bedeutet eine der schlimmsten Fehlleistungen, dass Stalin diese Erkenntnis nicht ermitteln ließ, wohl gar nicht wissen wollte.

Aus einer neu gefundenen SA-Festschrift in Konstanz 1934 erfahren wir, wie die SA am Bodensee aufstieg. Die Bürger hätten sehen können, was da kommt. Sie sahen es und ließen alles laufen – sie blieben auf dem Sofa sitzen. – Solche Leute gab es auch bei uns. –

Einzig die deutschen Sozialdemokraten am Bodensee setzten sich in Versammlungen in und um Konstanz gegen die anfangs noch kleine Nazipartei zur Wehr. Aber die Bürger wetterten, die Roten würden die Straße unsicher machen. Diese Dummheit ebnete Hitler den Weg.

Zuletzt erfahren wir aus neuen Quellen, dass Anfang September 1939, also bei Kriegsbeginn, in Aalen (wo liegt denn das?) nachts eine widerständige Hand auf Plakate und Wände schrieb: „Hitler Mörder“. So etwas taten wenige. Elser war bereits in München, um nachts am Sprengloch zu arbeiten.

Das Buch endet mit dem großen Respekt, den Elsers Fabrikchef Waldenmaier gleich nach Kriegsende für seinen einstigen, nun toten Arbeiter hatte:

„Elser, der glaubte, im Interesse des deutschen Volkes und der Welt Hitler beseitigen zu müssen, wird nun in der Presse als SS-Mann und SS-Führer dargestellt.“

Inzwischen scheint das jahrzehntelange Unrecht gegen Elser abgetragen. So glaubt der Autor Haasis. In Wirklichkeit dürfte Elser noch vielen Deutschen total unbekannt sein. Aber mit diesem Buch haben die Deutschen eine große Persönlichkeit zurückbekommen.

Wladimir Krutthofer, geb. 1944 in Moskau, Kunsthistoriker promoviert über Tilman Riemenschneider. Derzeitiges Forschungsprojekt: Handarbeiter im deutschen Antifaschismus, besonders im deutschen Südwesten. Interessiert bin ich auch an Untergrundliteratur seit dem Großen Bauernkrieg von 1525.

Hier drin drei interessante Fotos aus dem Buch:
1. Haus in Heidenheim-Schnaitheim. Hier bekam Elser gute Warnungen vor Hitlers Kriegspolitik durch „Radio Moskau“.
2. Für mich das schönste Bild von Georg Elser.
3. Die Gestapozentral ist absolut kaputt. Ende des Nazi-Spuks.

Die Gestapozentrale ist absolut kaputt. Ende des Nazi-Spuks.

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