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Elser, Nachträge zur Biographie

Nachtrag Nr. 27

GESTAPOBERICHTE IN BADEN

Brauchbares Vergleichsmaterial für Elsers Zeit findet sich in den Lageberichten der Gestapo in Baden. Ediert sind sie von Jörg Schadt (Hg.): Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Die Lageberichte der Gestapo und des Generalstaatsanwalts Karlsruhe 1933-1940, Stuttgart usw. 1976.

Singen, November 1934.
„Am 27. 11. 34 wurde der ledige Arbeiter August Steiger, geb. am 2. 4. 03 in Riegel am Kaiserstuhl, wohnhaft in Ehingen, Amt Engen, [verhaftet], weil er am 27. 11. 34 in der Wirtschaft zum Auerhahn in Singen gesagt hatte:

„Das Jahr 1936 ist Deutschlands Untergang, das weiß ich bestimmt. Ich als Kommunist habe an dem Aufstieg Deutschlands kein Interesse, sondern nur an dessen Untergang. Es ist schade, dass der General Foch bei der Rheinlandbesetzung nicht nach Berlin marschiert [131/132] ist und dort alles zusammengeschlagen hat. Die einzige Waffe für uns ist nur noch der Kommunismus.“ (Schadt S. 131-132)

Der völlige unterschiedliche Gebrauch des Wortes Untergang gegenüber Elser macht deutlich, wie sehr der Schreiner von einer parteistrammen KP-Position entfernt war. Dem Kommunisten war der Untergang gerade recht, Elser befürchtete dagegen die entsetzlichen Konsequenzen für das ganze Volk und wollte deshalb den Untergang verhindern, durch Hitlers Beseitigung.

Elser strebte nicht den Kommunismus an, was auch immer das am Ende gewesen wäre, sondern ein gemäßigtes Übergangsregime unter Vermeidung oder möglichst Beendigung des Weltkrieges.

Damals wurde der Gestapo auch der Konstanzer Kaufmann Hugo Längle angezeigt, in einer Wirtschaft hatte er gesagt:

„Hitler hat sich vier Jahre Zeit erbeten, um die Wirtschaft Deutschlands wieder in die Höhe zu bringen. Jetzt sind schon zwei Jahre herum, und [es] ist noch kein Jota besser geworden. Im Gegenteil, jeden Tag wird es zusehends schlechter. Du kannst es glauben, jeden Tag wird es schlechter mit Deutschland. Alle Steuern sind noch gleich hoch geblieben. Der Verdienst ist aber durch das schlechte Geschäft und die vielen Beitragszahlungen geschmälert worden.....“ (Schadt S. 132)

Dieser Kaufmann argumentierte aus der Perspektive seines Geschäfts, aber er konnte wenigstens rechnen und verschwieg nicht alles – was er freilich büßen musste. Elser hielt sich da lieber zurück, redete nie in einer Wirtschaft, sondern nur unter Seinesgleichen und abseits.

Aus Feigheit? Nein, er war Realist und kannte seine Deutschen. Und vor allem wusste er, Schwätzen nützt nichts, wer etwas ändern will, muss es tun, nicht drüber reden.

Im März 1935 stellt die Gestapo fest, dass ein Reisender, gar ein Jude, die Propaganda des Straßburger Senders weitererzählte (Schadt S. 146). – Der Sender Straßburg war ein früher, verdeckter Sender von BBC London und nach Peilergebnissen der deutschen Abwehr in Südengland an der Küste stationiert. Der Sender war heller als die Regierung, die noch lange, sehr lange große Stück von Hitler hielt.

1938 erfährt man, ein „Freiheitssender“ sende auf Kurzwelle 29,8 und 38,25, außerdem arbeite Radio Moskau (S. 196). Elser hatte also ein gutes Informationsangebot, daneben ist noch an den Schweizer Sender Radio Beromünster zu denken.

Am 17. März 1938 hielt der Schaffhauser Sozialist Walther Bringolf, Nationalrat und später Regierungschef des Kantons Schaffhausen, eine glänzende Rede, die gut zu Elser passt. Die Gestapo Karlsruhe bekam von einem Spitzel mitgeteilt:

„Am 17. 3. 38 abends um 20 Uhr hat in Stein a. Rh. (Schweiz) eine öffentliche Versammlung der SAP-Ortsgruppe Stein a. Rh. stattgefunden, woran etwa 80 Personen beteiligt waren. Das Referat hatte der schweizerische Nationalrat W. Bringolf. Die Versammlung wurde von dem SAP-Führer Gutmann aus Stein a. Rh. eröffnet.

Anschließend ergriff Bringolf das Wort und sprach über die Ereignisse in Österreich. Er führte aus, dass jeder normal denkende Mensch heute einsehen müsse, dass Österreich durch die Nazi-Barbaren vergewaltigt worden sei. Er nannte die Deutschen vertragsbrüchige Gauner.

Ferner erwähnte er, dass kein Staat mit dem großschnörrigen Hitler einen Vertrag abschließen könne, da dieser doch gebrochen würde. Er nannte die Nationalsozialisten Mörder und streifte hierbei, dass man dem österreichischen Bundeskanzler Dollfuß nach seiner Verwundung, als er blutüberströmt am Boden lag, jede ärztliche Hilfe verweigert habe. So etwas könne nur bei Nazi[s] passieren.

Derselbe Schuft wie Hitler sei auch Mussolini, sonst hätte dieser falsche Hund den Dollfußkindern nicht die Vaterschaft anbieten können, wo er ebenfalls an dem Tode Dollfuß mitschuldig sei.

Ferner behauptete Bringolf, Hitler plane einen Ein- oder Durchmarsch durch die Schweiz. Diese Aussage stamme von einem deutschen General, welcher nach der Schweiz geflüchtet sei. Den Namen des Generals hat Bringolf bei seiner Rede nicht genannt.

Er schloss seine Rede mit der Aufforderung, die Eidgenossen sollen sich von dem Hitlerschmunzeln nicht einwickeln lassen, denn die Schweiz sei ein Staat für sich und brauche sich nicht von den nördlichen und südlichen Lumpen regieren zu lassen usw.“ (Schadt S. 199)

In Mannheim wurden im April 1938 im Haftengebiet Handzettel an Fernlastzüge geklebt: „Hitler ist Krieg – darum, Arbeiter, gebt ihm und seinen Trabanten keine Stimme.“ (Schadt S. 205) Es ging um die Volksabstimmung über den den Anschluss Österreichs.

Im April 1938 führte die Frau eines Basler Straßenbahnschaffners kleine hektografierte Handzettel nach Lörrach ein, mit sechs verschiedenen Texten. Zwei davon lauteten:

„Kameraden! Hitler treibt uns in den Krieg. Protestiert am 10. 4. 38 mit NEIN.“

„Arbeiter! Protestiert gegen die Hunger-, Kriegs- [und] Abenteuerpolitik Hitlers mit NEIN!“ (S. 204)

In Hausen im Wiesental ergab sich aus wirtschaftlichen Gründen eine interessante Wählerbewegung: eine starke Ablehnung des Referendums wegen Österreichs. In einer Wahlurne fand sich ein Protestschreiben, das zu rechnen verstand: Der Lohn eines Familienvaters reiche nicht mehr für die Familie (S. 206).

Über 10 % der abgegebenen Stimmen votierten mit NEIN, das war sehr selten. Die Gestapo bekam heraus, dass bei der Mechanischen Buntweberei Brennet der Lohn so niedrig sei, „dass Familienväter mit fünf und sieben Kindern zu ihrem Verdienst noch die Fürsorge in Anspruch nehmen müssen. So wurde z. B. festgesellt, dass ein Arbeiter mit Frau und sieben Kindern bei 146 Arbeitsstunden im Monat brutto RM 83,66 verdient. Nach Abzug der sozialen Lasten und der Miete verbleiben der 9köpfigen Familie für den Monat noch RM 54,76 zum Lebensunterhalt.“ (S. 206)

Vor Hitlers Regime verdiente so viel ein guter Facharbeiter wie Elser in einer Woche.

„Am 21. 8. 38 wurde ein Informationsblatt der Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften vom 9. 8. 38 erfasst. Der Inhalt befasst sich mit dem wirtschaftlichen und sozialen Aufbau und versucht anhand von Statistiken nachzuweisen, dass das Arbeitseinkommen des deutschen Arbeiters seit 1933 stets im Sinken begriffen ist. Außerdem befasst sich diese Hetzschrift mit der Ausbeutung der deutschen Arbeitermasse und der Überstundenschinderei.“ (S. 208)

Ein evangelischer Geistlicher wurde angezeigt „wegen Nichtbeflaggung der Kirchengebäude am 9. November 1938“ (S. 286). Alle öffentlichen Gebäude waren am Jahrestag von Hitlers fehlgeschlagenem Putsch von 1923 mit Flaggen zu schmücken. Am Tag nach Elsers Anschlag 1939 müssen wir uns also ganz Deutschland beflaggt vorstellen.

Andererseits kamen „bei der Staatsanwaltschaft Mosbach Anzeigen gegen 45 Volksgenossen aus verschiedenen Landgemeinden ein (...), die am Fronleichnamstag mit Kirchenfahnen geflaggt hatten“ (S. 294)

(Januar 2008)


 

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