haasis:wortgeburten

 

GEORG ELSER
und die neue Tendenz zur (rechten) Entpolitisierung

Nr. 36

Überlegungen von Hellmut G. Haasis
nach einer Kurzbesprechung
von Gunther Hartwig (gha)
(Südwestpresse 27. Dezember 2010, S. 2)

Die Südwestpresse, die Stuttgarter Zeitung und andere Provinzblätter glänzten über vier Jahrzehnte mit der VERDRÄNGUNG Elsers aus ihren Blättern und unserem Geschichtsbild.

Seit 1969 war Elsers einmalige Tat gegen Hitler (Bürgerbräukeller München 8. November 1939) erforscht, 1970 kam das Gestapo-Verhörprotokoll heraus und wurde immer wieder nachgedruckt.

Genügend Zeit, den toten Elser kennen zu lernen. Unsere Journalisten hielten sich bis heute zurück. Meine Elser-Biografie (Erstedition von 1999) nahmen sie nicht wahr. Elser fehlte der gutbürgerliche Stallgeruch, mit diesem Widerstandskämpfer konnte man nicht ANGEBEN, keine SENSATION VERKAUFEN.

Nun bringen die beiden Berliner Professoren Peter Steinbach und Johannes Tuchel eine alte Arbeit als Taschenbuch heraus (Georg Elser. Der Hitler-Attentäter).

Mit einem Schlag erwacht der altgediente Berlin-Korrespondent der Südwestpresse Gunther Hartwig und schwingt sich gegen seine bisherige politisch-kulturelle Linie zu einer Lobeshymne für Elser auf.

Ungläubig reibe ich meine Augen, was ist da passiert? Offenbar bekommen inzwischen Anhänger des NEOLIBERALISMUS das Bedürfnis, in den gnadenlosen Zeiten von PROFITGIER und massenhaftem Absturz in ein PREKÄRES LEBEN sich wenigstens einen einzigen Anständigen an die Brust zu heften.

Möglichst mehrere.

Moderne Heiligen unserer BANKER, SPEKULANTEN, POLITIKER, LOBBYISTEN und sonstiger KRIMINELLER?

Gunther Hartwigs Minirezension zu Georg Elser stellt Elser neutral vor - schon ein Fortschritt. Von Quellenarbeit versteht Hartwig nichts, wie soll ein Journalist darin auch Erfahrung haben? Elser hat bei Hartwig keinen politischen Charakter, ist kein Linker, kein Wort davon, dass er die KPD wählte (und damit durchaus recht hatte).

Elser wird gereinigt, entpolitisiert, so dass er dem reduzierten Milieu des Neoliberalismus zumutbar ist.

Lesen wir Gunther Hartwigs Schluss im Original:

„Ausführlich werden Dokumente der Gestapo ausgewertet, dazu Vernehmungsprotokolle. So wird es am Ende möglich, die Motive des Attentäters zu erkennen und ein objektives Urteil über diesen ‚lange verkannten Widerstandskämpfer’ zu fällen. Es gab, so zeigt sich, bereits frühzeitig Menschen im Dritten Reich, die das Unheil voraussahen, das Hitler über die Deutschen und ganz Europa brachte, und die den Mut hatten, sich dem Diktator in den Weg zu stellen.“

Wer bei der Sprache genau hinsieht, kann an diesem Beispiel aufs genaueste sehen, wie ein MYTHOS, eine LEGENDE, eine LÜGE, eine VERHARMLOSUNG, eine VERDUMMUNG geboren wird.

Wir sollten die Stelle nochmals lesen, wo der BETRÜGER Gunther Hartwig die ideologische Weiche stellt – und Hand an die Korrektur der Geschichte legt.

Der linke libertär-sozialistische Schreiner Elser passt auf einmal für alle, auch für Rechte, Reaktionäre, Nationalisten und Ausbeuter, weil er das „Unheil“ verhindern wollte. Mitten im Absatz springt der Journalist von der Einzahl (Elser war ein Einziger) auf die Mehrzahl über – obwohl er außer Elser niemand zu nennen vermag.

„So wird es am Ende möglich, die Motive des Attentäters zu erkennen und ein objektives Urteil über diesen ‚lange verkannten Widerstandskämpfer’ zu fällen. Es gab, so zeigt sich, bereits frühzeitig Menschen im Dritten Reich, die das Unheil voraussahen, das Hitler über die Deutschen und ganz Europa brachte, und die den Mut hatten, sich dem Diktator in den Weg zu stellen.“

Ansonsten offenbart uns die lange Beobachtung dieses Berliner Meinungsmacher ein merkwürdiges Profil. Vor ungefähr zwei Jahren entfuhr ihm bei einer Idee der LINKEN die entlarvende Bemerkung: Diese Idee sei „NICHT SATIFAKTIONSFÄHIG“.

Hoppla, was soll das? SATISFAKTION entstammt dem Reglement der SCHLAGENDEN BURSCHENSCHAFTEN. Wenn dort ein Grasdackel den andern beleidigt, muss der Angepöbelte SATISFAKTION fordern: Er hat den Beleidiger auf SCHARFE SÄBEL herauszufordern.

Zur Wiederherstellung der VERLETZTEN EHRE haben sie sich gegenseitig das Gesicht mit Säbeln zu durchfurchen. – So erzieht sich ein Teil unserer AKADEMISCHEN ELITE.

Kommt Gunther Hartwig aus diesem Milieu? PROSIT.

Alter Briefkopf des Steinbruchs Georg Vollmer in Königsbronn-Itzelsberg, neben dem Namenssigel GV sehen wir rechts das schon lange abgebrochene Sprengstoffhäuschen, aus dem sich Georg Elser im Frühjahr 1939 zehn Kilo Industriesprengstoff Donarit 3 besorgte.

Hartwig ist mit seiner verfälschenden Tendenz nicht allein. Schon 1999 warf sich der rechtsextremistische Moralphilosoph LOTHAR FRITZE ins Zeug, um Elser ANZUPÖBELN.

Fritze gestand in einem Interview: Auf die Idee, Elser die acht Todesopfer im Bürgerbräukeller 1939 persönlich anzulasten, sei er gekommen, als er vor dem 60. Jahrestag erstmals von Elsers Anschlag hörte und sich empörte, dass Elser dafür anerkannt werde. Das sei DER EHRE ZU VIEL.

Darauf brachte Fritze am 8. November 1999 in der FRANKFURTER RUNDSCHAU einen „moralphilosophischen“ Totalverriss heraus, sprach Elser das Recht ab, gegen Hitler ein Attentat unternehmen zu dürfen. Von Hitlers Millionen Toten sprach Fritze nicht, die waren dem Moralfilosofen unwichtig.

Warum sollte Elser kein Recht zum Anschlag haben? Weil es nicht auszuschließen war, dass er in dem Saal auch „UNSCHULDIGE MENSCHEN“ treffe.

Waren Hitlers schwerkriminelle Schläger- und Mordbanden UNSCHULDIGE?

Am 8. November 1939 bekamen Einlass in den Bürgerbräukeller nur „ALTE KAMERADEN“, die den BLUTORDEN trugen. Diese „Ehrung“ hatten sie dafür bekommen, dass sie am 8. November 1923 zu dem bewaffneten Nazi-Pack gehörten, das die bayerische Regierung samt Juden, Sozialisten, Sozialdemokraten, Kommunisten und Andersdenkenden an die Wand stellen oder aufknüpfen wollte.

Nur die Kellnerin war ein wirklich unbeteiligtes Opfer. Sie zahlte dafür, dass sie den verhassten Diktator und seine blutige Gefolgsleute bedienen wollte, denen viele den Tod wünschten. Wie viele Deutsche begriff sie nichts von den Gefahren im Umfeld eines blutrünstigen Diktators. Bei einem solchen Bluthund muss mit einem TYRANNENMORD gerechnet werden. Ein uraltes Problem – durch Erziehung verdrängt.

Die anderen sieben Todesopfer waren nazistische Mordwillige, die schon vor 1923 in Hitlers Blutstrategie bei der Zerstörung der Republik mitgewirkt hatten. Wer von ihnen in der Umgebung des Chefs umkam, war nicht UNSCHULDIG.

Außerdem sollten wir die Nazis endlich in ihrer Selbsteinschätzung ernst nehmen. Sie predigten, dass es nichts Ehrenvolleres gäbe, ALS FÜR DEN FÜHRER DAS LEBEN ZU GEBEN.

Sie bekamen in München ein Ehrengrab als MÄRTYRER DER BEWEGUNG, dort drin sollten wir sie lassen – und nicht zu Zeugen gegen das beste Attentat auf die ganze Naziführung zu machen. Denn Elser hätte mit Hitler auch dessen komplette Führungsclique hinüber nach WALHALLA schicken können, wohin sie alle gehörten.

Und Elser wartete nicht bis Juli 1944, wie die wankelmütige, viel zu lange nationalsozialistische Militäropposition um Stauffenberg.


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