haasis:wortgeburten

Elser Nr. 44

ELSERS LIEBLINGSLIED IN DACHAU

In meiner Elser-Biographie findet sich Elsers Lieblingslied festgehalten, das er im KZ Dachau bis zu seinem Tod im April 1945 sang und auf seiner selbstgebauten Zither begleitete (Hellmut G. Haasis: Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser, Nautilus Hamburg 2009, S. 299-301, hier auch die Interpretation im Zusammenhang seines Lebensendes). Die Noten haben sich gedruckt erhalten. Eine Tonaufnahme aus dem Film findet seit Juni 2014 auf Youtube. https://www.youtube.com/watch?v=aSGZ2ekId2A
Zum Textdichter Anton Profes: https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Profes
Zum Film https://de.wikipedia.org/wiki/Wir_bitten_zum_Tanz
Der Film dauert 1 h 23 Min. Das Lied ist zu hören nach 50 Minuten, rund 2,5 Minuten lang, später weitere Strophen. Während vorher die beiden konkurrierenden Tanzschul-Besitzer reichlich besoffen sind, singen sie das Lied schlagartig nüchtern. Elser muss im Radio eine besondere Schlagerversion gehört haben, denn im Film ist das Lied auf verschiedene Teile und auf mehrere Sänger verteilt. Den Film selbst konnte er nicht sehen, kulturell hat er nichts versäumt. "Die Flucht der Filmproduzenten in die Vergangenheit ist nicht zu übersehen. Wieder einmal wird Wien um die Jahrhundertwende gezeigt." (Karlheinz Wendtland)
Die Filmprüfstelle kommandierte „volkstümlich wertvoll“. Natürlich. Diese Dummköpfe sind womöglich noch später die Lehrmeister der westdeutschen Filmindustrie geblieben.
Premiere war am 28. Oktober 1941. Zu dieser Zeit waren die deutschen Nazitruppen bereits weit in die Sowjetunion eingefallen, zogen Europa noch tiefer in die Katastrophe hinein. Im Film durfte sich das Publikum eine kurze Zeit über die politische Realität hinwegtäuschen, was überall beliebt ist – falls es nicht zu den begeisterten Mitläufern zählte.
Elser selbst dürfte dieses Lied als Abschied vom Leben empfunden haben. So verstand es wohl auch sein SS-Wachmann Lechner, der ihm vom eigenen Geld die Noten in einem Münchner Musikgeschäft gekauft hatte. Auch er nahm Abschied, dieser SS-Mann, Abschied von seiner erträumten Musikkarriere, denn im Krieg war ihm der rechte Arm schwer verletzt worden und blieb gelähmt. Deshalb bekam Lechner nach der Ermordung vieler Gefangener mit der SS-Polizei-Division, in der er mitgemordet hatte, die bequeme Stelle in Dachau. Die bayerische Justiz, darunter viele alte Kameraden, schonten Lechner, wie den Rest dieser verkorksten Generation. Erst 1965 musste die Münchner Justiz ihn wegen seinen Kriegsverbrechen verfolgen, es ließ sich nichts mehr länger vertuschen. Er landete im Gefängnis Landsberg, wo Hitler nach dem Putschversuch von 1923 eine Art Sonderurlaub genossen hatte. Dort gab sich der Altnazi und Gefangenenmörder auf einmal als tapferer Kommunist, der erstmals Elser als Hitlergegner lobte.

 

 



/elser/bio_nachtrag_44.php | anares.org | comenius-antiquariat.ch Samuel Hess 2005