haasis:wortgeburten

Hellmut G. Haasis
Oberrheinische Freiheitsbäume:

Von Mainz über Basel zum Bodensee
(unter Mitarbeit von Volker Gallé)
(1. Aufl. 1999)

Die Wiederauffrischung ist gewidmet dem literarischen Ausrutscher am Bodensee:
Martin Walser zum 80. Geburtstag.

Das schöne, mir am freiheitlichen Herzen hängende Buch ist schon lang vergriffen. Ach aus den Antiquariaten verschwunden.

Angesichts der heutigen unerquicklichen Zeitstimmung trennen sich die Käufer solcher Bücher nicht mehr so leichtsinnig von den verschütteten Zeugnissen früherer Freiheitsbestrebungen. Es kommt grad nichts Gescheiteres nach.

Damit das Beste meiner Ausgrabungen leicht zugänglich bleibt, beginne ich mit meinem Lieblingskapitel von den „Oberrheinischen Freiheitsbäumen“.

Besonders für Martin Walser das Kapitel über Überlingen. Wenn ich lese, wie seine Überlinger im Jahr 1332 ihre Juden in der Synagoge einschlossen und anzündeten. – Ja dann sehe ich da - ein wenig verschämt im Hintergrund - den Martin Walser auf dem Landungsplatz stehen und staunen. Nicht ohne Freude am wohltemperierten Schauder des saturierten Sofafurzers der Medienindustrie hört Walser zu, wie die Juden brennend ihre Totenlieder singen, solange sie können.

Dieses Gräuel wiederholt sich für mich im schlimmsten seiner Bücher: im „Tod eines Kritikers“.

Kapitel 9
BODENSEE

JESTETTEN

In der Gegend zeigten sich schon seit den 1830er Jahren freiheitliche Tendenzen: Sympathien für die Schweizer Freiheit, freie Jagd, Petitionen für die Aufhebung der grundherrlichen Abgaben. Anfang 1848 wird ein Freiheitsbaum errichtet, beim Ausmarsch zum Heckerzug äußern sich die Frauen lauter und begeisterter als die Männer - aber sie brauchen auch nicht mitzumarschieren und nicht zu schießen und bei dieser Expedition nicht zu sterben.

Am 9. 7. 1849 zieht sich der Rest der Freiheitstruppen unter Sigel von Tiengen (Waldshut) über Grießen, Baltersweil und Jestetten in den kleinen exklaveähnlichen Zipfel zurück, der in den Kanton Schaffhausen hineinreicht. Die engste Stelle ist nur 500 m breit. Eine chiliastische Situation wie schon auf der Schusterinsel bei Weil/Rhein (siehe Kap. 8). Nun der Abgesang:

"Bei dem Dorf Baltersweil wurde im Wald ein großes Lager aufgeschlagen, zu dessen Kommandanten der General Sigel Johann Philipp Becker ernannte. Die durch die angestrengten Tagmärsche ermüdeten Truppen bauten sich Laubhütten, und es wurde alle Mühe aufgeboten, um sie zu verproviantieren. Die Feinde rückten unterdessen nach Stühlingen vor. Die deutsche Republik war jetzt auf ein Terrain von weniger als einer Viertelquadratmeile  beschränkt. Die Armee war nicht mehr schlagfähig. Der Bundesrat der Schweiz und seine an die Grenze geschickten Kommissäre und Kommandanten befanden sich in sichtlicher Verlegenheit. Sie fürchteten, mit in den allgemeinen europäischen Völkerkampf hineingezogen zu werden. Man drohte Sigel für den Fall, dass an den Grenzen noch eine Schlacht geliefert werde, mit der Entziehung des Asyls."

Am 11. 7. werden die Truppenreste in Jestetten aufgelöst. Sigel bietet der Schweiz an, dass die Truppe geschlossen und mit ihren Waffen in eidgenössische Dienste übertritt und gegen die Preußen kämpft, deren Invasion man befürchtet. Doch die Schweizer Kommissare lehnen ab, so bleibt nur die Kapitulation.

"Hier standen mit Tagesanbruch die Trümmer der Revolutionsarmee in ernstem Schweigen. Sigel zögerte, weitere Befehle zu geben, ein mächtiger Kampf ging in seiner Seele vor; er musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um das Wort auszusprechen: 'Es geht über den Rhein.' Manchen Mann sah man, gesenkten Hauptes, nur zuweilen nach dem Schwarzwald zurückblickend, in stummer Hingebung dem Zuge folgen. Es herrschte die Stimmung eines Leichenbegängnisses."

Becker geht mit den Volkswehren bei Rheinau über die Rheinbrücke in die Schweiz, die Entwaffnung erfolgt vor dem alten Klosterwirtshaus. Sigel kommt mit den Linientruppen über den Rafzer Zoll, entwaffnet werden sie erst vor Eglisau. Am 12. 7. folgt die letzte Truppe unter Willich. Der Fahnenträger will die riesige schwarz-rot-goldene Fahnen nicht hergeben, reisst das Tuch herunter und wirft es in den Rhein. Die pfälzischen Truppenteile haben schon einige Tage früher bei Basel und Rheinfelden die Grenze überschritten.

Becker/Essellen: Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution, 1849, S. 434f; R. R(üegg): Der Übertritt der badisch-pfälzischen Insurgenten auf Schweizerboden im Juli 1849, in: Der Republikaner, Zürich, Jg. 1878, S. 56-65.

1933 bietet sich der verwirrende Grenzverlauf als Einfallstor für die Propaganda gegen die Nazis und als Schlupfloch für Emigranten an. Aus dem Schnellzug Zürich-Schaffhausen flattern auf der Strecke zwischen Lottstetten und Jestetten, wo die Bahn über deutsches Gebiet fährt, den deutschen Bahnarbeitern immer wieder Propagandaschriften vor die Füße. Reaktion der Nazis: am 18. 12. 1933 müssen die Bahnarbeiter auf Befehl der Gestapo den Zug mit der roten Signalflagge stoppen. Die deutsche Polizei kontrolliert rechtswidrig Gepäck und Ausweise. Wehe, wenn die Schweizer so etwas gewagt hätten.

LOTTSTETTEN

Das Gasthaus "Engel" an der Hauptstraße ist noch erhalten. Der Wirt heißt 1848 Joseph Weißhaar, einer der führenden radikalen Demokraten am Bodensee und vermögend. Am 15. 4. schickt Hecker von Engen Emma Herwegh zu ihm mit der Anweisung loszumarschieren. Weißhaar kommandiert zusammen mit Struve eine Kolonne, die am Hochrhein entlang Richtung Kandern zieht.

Nach der Niederlage flieht er in die Schweiz, kehrt 1849 zurück und wird in Jestetten Zivilkommissar der Revolutionsregierung, wird Abgeordneter im Karlsruher Landtag, muss erneut fliehen und wird zu 8 Jahren Gefängnis und hoher Geldstrafe verurteilt. 1864 lässt sich Weißhaar mit seinem Sohn im Kanton St. Gallen einbürgern.

Die Engelscheune, 1980 umgebaut zu Geschäfts- und Wohnräumen, zeigt eine Gedenktafel. Daneben der Weißhaarbrunnen und der Weißhaarplatz.

Rathaus: hier amtierte als Bürgermeister der revolutionäre Demokrat Alois Baumgartner, der im April 1848 mit Weißhaar loszieht und dafür 2 Jahre Zuchthaus in Bruchsal büßt. Im 1. Stock veranschaulicht eine Vitrine den Wirt Weißhaar. Im Untergeschoss steht eine Kanone aus der Revolutionszeit.

Ute Grau/Georg Hertweck/Jürgen Schuhladen-Krämer (Bearb.): Revolution im Südwesten. Stätten der Demokratiebewegung 1848/49 in Baden-Württemberg, 1997, S. 277ff, S. 374ff.

 

SCHAFFHAUSEN

Jos Fritz und seine Verschwörung des Bundschuhs hatten in der Stadt und im benachbarten Klettgau und Hegau 1513 und später Stützpunkte.

Gasthof Zum Goldenen Schiff (um 1984 abgerissen) an der Schiffsanlegestelle: Hier befindet sich von 1792 bis 1798 ein Büro des französischen Nachrichtendienstes, eine Zweigstelle der Basler Zentrale, das die in Deutschland operierenden Geheimagenten anleitet, u. a. Georg Kerner und den Elsässer Valentin Probst. Im Juni 1796 meldet ein Schaffhauser, dass sich im "Schiff" so etwas wie ein "Club der Jacobiner" treffe und "täglich anwachse".

Kesslergasse, Brunnen: Im Mai 1794 errichten Unzufriedene hier einen Maibaum, der durch eine auf den Gipfel gesetzte Freiheitsmütze mit den drei Farben zum Freiheitsbaum wird. Ein alter Maibrauch wird politisiert, Stadtarbeiter legen auf Befehl den Baum um.

Während des Einmarsches der Revolutionstruppen 1796 nach Süddeutschland kommt es zu einer großen Flüchtlingsbewegung nach Schaffhausen. 2.500 Oberschwaben retten "ihr Leben, ihre Weiber und Kinder und etwas von ihrem Eigentum vor den Franzosen, zuerst und hauptsächlich vor den Condéern". Die Condéer stellten ein Emigrantenkorps dar, geführt vom Prinzen von Condé, das zusammen mit deutschen Truppen in Frankreich die feudalen Verhältnisse wiederherzustellen suchte.

1798 erfasst eine neue Revolutionsbewegung das ganze Land um Schaffhausen und mündet in die Helvetische Republik. In Neunkirch beschließt am 6. 2. 1798 ein Vereinigungskongress der Landgemeinden mit der Stadt die Befreiung des Landvolks und die Beseitigung der städtischen Vorrechte. Alle wollen es jetzt haben "wie die Basler". Riesige Begeisterung auf dem Land, besonders im Schaffhauser Klettgau.

Als Schaffhausen sich mit der Realisierung der neuen Freiheit nicht beeilt, ziehen 1.000 bewaffnete Klettgauer am 14. 3. nach Schaffhausen, die Stadt muss nachgeben. In diesem Frühjahr feiern die Freiheitsbäume innerhalb von zwei Wochen einen allgemeinen Siegeszug durch die Schweiz, man schätzt ihre Zahl auf 7.000.

Herrenacker: Am 19. 3. 1798 erfolgt mit 6 Wochen Verspätung gegenüber dem Land die Errichtung eines Freiheitsbaums mit Bändern, Freiheitsfahne und blecherner Freiheitskappe. Die 48 Abgeordneten der (Schaffhauser) Nationalversammlung graben das Loch dafür. Festessen der Abgeordneten in der "Krone". Wegen des Verlustes ihrer bisherigen Vorherrschaft sehen viele Schaffhauser in dem Baum eher einen "Sklavenbaum".

Mühlentor: Erneute Unruhen auf dem Land, ähnlich wie im Baselbiet. Anlass: in der neuen Verfassung von 1831 beansprucht die Stadt Schaffhausen bei nur 17 % der Bürger im kantonalen Großrat 43 % der Sitze. Das Landvolk soll nur 57% der Sitze bekommen, obwohl es 83 % der Bürger zählt. Am 16. 5. marschieren die Bauern des Klettgaus vor die Stadtmauern und sprengen das Mühlentor, werden aber vertrieben. In einer Abstimmung verwirft das Volk die Verfassung und bekommt daraufhin die Verdopplung seiner Sitze zugesichert.

Die Schaffhauser Zeitung, mit Sympathie für den Heckerzug 1848, begreift, dass die deutschen Fürstenknechte eine Gefahr für die Schweiz darstellen. Als ein Korrespondent einen württembergischen Offizier trifft, der nach Aufständischen sucht, bekommt er eine Drohung zu hören, die ähnlich schon seit Jahrhunderten kursiert, seit dem Schwabenkrieg und dem Bauernkrieg: "Wenn wir mit den Badenern fertig sind, geht es hinter die Schweiz, diesen Herd der Revolution!" (21. 4. 1848)

Die Nazis richten gleich 1933 in der Stadt einen Spionagedienst ein, der freilich bald enttarnt wird. Die Kantonsregierung stellt fest: die Spitzel haben "unsere Gebietshoheit gröblich verletzt und die äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährdet". Die Gestapo Karlsruhe meldet im Dezember 1933:

"Die Kommunisten in Schaffhausen versuchen in der Presse die Arbeiterschaft gegen die angebliche Spitzeltätigkeit deutscher Beamten aufzuhetzen; es wurde beobachtet, dass die mit der Eisenbahn in Schaffhausen eintreffenden Deutschen unauffällig von Polizeibeamten in Zivil beobachtet werden."

Webergasse 48: Bei der Familie Hamburger befindet sich ab 1933 die Anlaufstelle der Roten Hilfe, wo die glücklich geflohenen Deutschen unterkommen können - sofern sie Kommunisten sind und linientreu. In Nr. 13 leistet auch Frieda Schaufelberger Flüchtlingshilfe.

Repfengasse 21: Der Kaufmann Hans Wehrli nimmt Flüchtlinge auf, bevor man sie bei Basel/St. Louis über die grüne Grenze nach Frankreich bringt. - Die Gestapo ist so erbost, dass sie 1935 vier Schweizer Mitglieder der Roten Hilfe über die Grenze entführt.

Hans Ulrich Wipf: "Freiheit und Gleichheit" - Die Wirkung der Proklamation vom 6. Februar 1798 auf Stadt und Landschaft Schaffhausen, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte, 51, 1974, S. 89-134; Hans Trümpy: Der Freiheitsbaum, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 57, 1961, S. 103-122; Hans Teubner: Exilland Schweiz, 1975, S. 14ff.

 

SINGEN

Am 15. 3. 1848 wird die Volksversammlung mit Joseph Ficklers Rede "durch donnernde Bravos unterbrochen".

Mühlenstraße 13: Einst Gasthaus Kreuz, heute Kulturzentrum G. E. M. S. Hier treffen sich am 16. 4. 1848 die Singener Teilnehmer des Heckerzugs zum Abmarsch.

Altes Finanzamt: Am 27. 6. 1922 Protestdemonstration Singener Arbeiter gegen die Ermordung des liberalen Außenministers Walter Rathenau durch Rechtsradikale, Sturm auf das Finanzamt, in dem Symbole der Monarchie (z. B. Bilder) zerstört und zum Fenster hinausgeworfen werden.

Jugendherberge: Die kommunistische Jugend trifft sich hier 30. 1. 1933 nach Bekanntwerden der Machtübergabe an Hitler. Bis in die Abendstunden veranstalten Hitlergegner, meistens Kommunisten, in der Stadt kurze Kundgebungen und Demonstrationen, lösen sich auf und treffen sich erneut auf belebten Straßen und Plätzen. Auflösung der Ansammlung in der Ekkehardstraße. Nachts wird in einer Privatwohnung ein Flugblatt hergestellt, das zum Generalstreik aufruft und am 31. 1. vor Großbetrieben verteilt wird (u.a. Maggi-Werke). Die führenden Köpfe der Arbeiterparteien wollen keinen Streik. Gegen 16.40 Uhr zieht eine Arbeiterdemonstration zu diesen Werken und fordert zum Streik auf, ebenso am 1. 2.

Harsenstraße 36;: In der alten Nordstadt, einem roten Viertel, befindet sich ab 1933 eine "Anlaufstelle" für Flüchtlinge, zumeist Kommunisten. Hilfe leistet das Ehepaar Georg und Therese Harlander, damals schon Rentner. Ein Zimmer ist ständig für neuankommende Flüchtlinge reserviert. Unter den Beherbergten Hans Beimler, der aus dem KZ Dachau ausgebrochen ist. Später kommen seine Kinder und der Schriftsteller Hans Marchwitza. Die Abschnittsleitung der KPD hat Stützpunkte in Basel, Schaffhausen und Zürich, die SPD in St. Gallen. Die Gestapo zerschlägt die Singener Stelle, die betagte Frau Harlander stirbt kurz nach der Entlassung aus der Haft. Singen würdigte sie auf dem Gedenkstein für die Nazi-Opfer im Waldfriedhof. - Eine 2. Anlaufstelle für Flüchtende befand sich bei der Familie Schwarz im Peterswäldle.

Käte Weick: Widerstand und Verfolgung in Singen und Umgebung, 1982, S. 73ff.

 

ENGEN

Markplatz: Am 15. 3. 1848 findet hier eine Volksversammlung mit 2.000 Teilnehmern, vielen aus den Dörfern, und einer Rede des Konstanzer Radikaldemokraten Joseph Fickler statt, der Seele der Rebellion am Bodensee. Fickler ruft zu den Waffen, damit das Volk bei der Proklamierung der Republik gerüstet sei.

Als Hecker am 15. 4. 1848 von hier abmarschieren will, trifft er Emma Herwegh, die Kundschafterin der Pariser Arbeiterlegion. Er lehnt ein Zusammenwirken mit der Legion ab, weil diese aus Frankreich komme und die reaktionäre Presse gegen sie hetze.

Am Palmsonntag, dem 16. 4., gibt es ein selbständiges Freiheitsfest der Frauen. Auf dem Platz steht ein Freiheitsbaum mit der deutschen Fahne. Die Frauen besorgen sich Tische und Stühle, singen Freiheitslieder, reissen reaktionäre Maueranschläge der Regierung ab und verbrennen sie vor den Augen der Polizei. "Nach Umwälzung der Dinge" versieht man sie von Amts wegen mit dem Titel "Lumpengesindel". - Auf dieser 1. Reise kauft Emma Herwegh in der Schweiz 900 Gewehre ein, die die Aufständischen freilich nie erreichen.

Schieber: Konstanzer Freiheitschronik, 1848, S. 76; Emma Herwegh: Im Interesse der Wahrheit, 1998, S. 40.

Eine große Volksversammlung am 1. 4. 1848 in Altdorf bei Engen beschließt unter Ficklers Leitung: die eigenen Abgeordneten sollen in der Paulskirche mitteilen, dass "der Seekreis entschieden die Gründung der Republik wolle".

ÜBERLINGEN

Franziskanerkirche am Hafen: Struve veranstaltet zur Werbung für den Heckerzug in der Kirche eine Volksversammlung mit 600-700 Teilnehmern, agitiert gegen "die Sünden der Monarchie", wirbt für die Republik und fordert dazu auf, sich"den nach Karlsruhe abgehenden republikanischen Kolonnen" bewaffnet anzuschließen.

Gefängnis: Schon vor den Wahlen vom 5. 3. 1933 werden zahlreiche Kommunisten eingeliefert, das Gefängnis bildet einen eigenen Wahlbezirk. Wahlergebnis: bei 100 % Wahlbeteiligung 100 % für die KPD, gegenüber 9,8 % sonst in Baden.

Gedenkstätte des KZ Aufkirch beim Goldbacher Stollen, Obere Bahnhofstraße, westlich vom Stolleneingang: 1944/45 ein Zweiglager des KZ Dachau. Im Durchschnitt sind hier 800 Häftlinge, Italiener, Polen, Russen, Tschechen und Slowenen, die bis Kriegsende in 12-Stunden-Schichten 4 km Stollengänge in die Erde sprengten. Am Stollenausgang standen SS-Wachen mit scharfen Hunden. - 1992 wird einer der ehemaligen Zwangsarbeiter, der Ukrainer Wassily Skralenko, eingeladen. Im Stollen erzählt er von der mörderischen Behandlung und seiner Flucht. Zusammen mit dem Grazer Adam Puntschart brach er in der Nacht 21./22. 3. 1945 aus.

"Auf ihrer Flucht nahmen sie zu niemandem Kontakt auf. Sie mieden Straßen aus Furcht, entdeckt zu werden. Sie schliefen im Wald und ernährten sich von vertrockneten Äpfeln, die vom letzten Herbst noch unter den Bäumen lagen. Da sie keine Karte von der Gegend besaßen, mussten sie sich an den Sternen und Bäumen orientieren, die an der Nordseite einen verstärkten Moosbewuchs aufweisen. Nach fünf Tagen und Nächten erreichten sie schließlich völlig erschöpft und ausgehungert die Schweizer Grenze bei Schaffhausen."

Als man 1992 im Stollen den alten Skralenko fragt, an welches deutsche Wort er sich noch entsinnt, kommt wie aus der Pistole geschossen die Zahl 33.639, seine Häftlingsnummer. In der Nacht nach diesem Besuch beschmieren Neonazis den Gedenkstein am Stolleneingang mit Nazisymbolen und zerstören die Kreuze auf dem Friedhof. Skralenko fragt nur: "Was wollen diese Menschen von den Toten?" Keine Antwort.

Campingplatz am See. Das ausgebohrte Material aus den Stollen mussten die Zwangsarbeiter in den Bodensee schütten, darauf wurde in besseren Zeiten der Campingplatz errichtet. Auch im Urlaub sind wir vor den Spuren der Toten nicht sicher.

Gedenkstätte an der B 31 zwischen Weinreben mit 97 Gedenksteinen für "97 Namenlose des Lagers Aufkirch".

Oswald Burger: Der Stollen. Hg. vom Verein Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in Überlingen, 1996; Ders.: Schatten in schöner Landschaft. Das KZ in Überlingen, in: Jochen Kelter (Hg.): Konstanzer Trichter. Lesebuch einer Region, 1983, S. 18-25; Ursula Krause-Schmitt: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Bd. 5/2. Baden-Württemberg II, 1997.

Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in Überlingen e. V., Oswald Burger, Seubertweg 12, 88 662 Überlingen, Tel. 07551-619 64. Wer Informationen braucht und eine Führung durch den alten KZ-Stollen wünscht, wende sich an "Kur und Touristik Überlingen", Tel. 07551-99 11 22.

Der Schwabenkrieg (1499) gegen die Eidgenossenschaft begann damit, dass Kaiser Maximilian I. in Überlingen den Reichskrieg proklamierte. Von der Insel Reichenau setzte das Invasionsheer mit Booten in den Thurgau über, scheiterte aber trotz zahlenmäßiger Überlegenheit. Der Vertreter der Eidgenossenschaft im Reich hatte, als er die Aberkennung bisheriger Rechte zurückwies, dem Mainzer Erzkanzler ins Gesicht geschleudert:

"Was ihr droht, ist vormals schon andren misslungen, die es mit Hellebarden versucht haben. Und Hellebarden sind mehr zu fürchten als Gänsekiele." Als die deutschen Truppen einfielen, kursierte unter den Eidgenossen der Spruch: "Man will uns einen Herrn setzen."

Worum ging es? Die Schweizer Geschichtsschreibung sieht im Schwabenkrieg den Beginn der Loslösung vom Reich, die deutsche schaut auf die Festigung des Landfriedens. Beide Seiten greifen zu kurz. In Wirklichkeit drehte es sich darum, die begehrte eidgenössische Lebensform blutig zu ersticken. Es ist die Zeit des Bundschuhs. Die Sehnsucht nach Bauernfreiheit regt sich allgemein am Südrand des Reichs. 1524 brach der Große Bauernkrieg genau dort aus, wo 1499 der Schwabenkrieg geendet hatte, im Klettgau und Hegau. Nicht alle Freiheitskämpfe gehen verloren, nicht jede Mühe um Befreiung ist für die Katz.

Landungsplatz, einst Synagogenplatz. 1332 geisterte durch die Stadt die unsinnige Mär, die Juden hätten ein christliches Kind durch Ritualmord umgebracht. 300 Juden wurden zusammengetrieben, in ihre Synagoge eingesperrt und verbrannt. Ihre Sterbelieder waren noch lange zu hören. Der Kaiser beabsichtigte zuerst, wegen der Ermordung seiner besten Steuerzahler die Stadtmauern einreißen zu lassen, am Ende eignete er sich nur den restlichen jüd. Besitz an. Ab 1431 nahm Überlingen keine Juden mehr auf.

 

BIRNAU

KZ-Friedhof (eingeweiht am 9. 4. 1946) an der B 31 zwischen Überlingen und Uhldingen für die Opfer des Dachauer Zweiglagers Aufkirch, die hier im Winter 1944/45 die Stollen für die Rüstungsproduktion graben mussten. Da vorher die französische Armee kam, wurde hier unten nichts mehr produziert. Die ums Leben gekommenen Häftlinge verscharrte man im Degenhardter Wäldchen nördlich von Überlingen, die Franzosen ließen sie 1946 exhumieren und hier beerdigen. Auf Befehl des Militärs musste die ganze Bevölkerung bei der Exhumierung und erneuten Bestattung dabeisein, damit sich keine neuen Legenden bildeten. Eine nützliche Übung, die die Alliierten auch woanders anordneten.

 

HALBINSEL HÖRI

1933 richten die Kommunisten hier einen Vertrieb von antinazistischen Schriften aus der Schweiz über den "Schiener Berg", die grüne Grenze der Höri, ein. Der Tarnname ihrer Truppe war "Transportkolonne Otto". Bis die Gruppe Ende 1934 von den Nazis zerstört und in Mannheim verurteilt wird, können auch Flüchtlinge in die Schweiz gebracht werden. Bernhard Kuderer, bis 1933 Vorsitzender der Freidenker in Radolfzell und Konstanz, pflegt bei Stühlingen über die Grenze zu gehen und wird nie erwischt.

Wer gut zu Fuß ist, dem sei die Route durch die malerische Gegend ans Herz gelegt. Von Radolfzell die Aach aufwärts über Bankholzen auf die Ruine Schrotzburg, wo sich die Schweizer Freunde mit den deutschen trafen und ihr Schmuggelgut übergaben. Getarnt als harmlose Wanderer, mit Vesperpause auf der Ruine, während einige die Umgebung gegen Überraschungen sicherten. Weiter über den Schiener Berg geht's nach Stein am Rhein. Auch der Metallarbeiter Willi Bleicher (Stuttgart), 1933 als polizeibekanntes Mitglied der KPO gefährdet, später Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, ging über eine solche grüne Grenze nach Schaffhausen und kehrte nach einigen Monaten zur Untergrundarbeit zurück.

Willi Bohn: Transportkolonne Otto, 1970; Käte Weick: Widerstand und Verfolgung in Singen und Umgebung, 1982, S. 86ff.

 

KONSTANZ

Die städtischen Erinnerungstafeln an den Gebäuden haben bis jetzt mit der freiheitlichen Geschichte noch nichts am Hut. –

Zur Zeit der deutschen Jakobiner beherbergte die Stadt reaktionäre Zeitungen, eine große antidemokratische, französische Emigrantenkolonie und Agenten der österreichischen Gegenspionage.

Erst im Vormärz begannen sich die Konstanzer aus diesem Mief herauszuarbeiten. Konstanz wurde nach Mannheim die zweite oppositionelle Stadt Badens. Bezeichnend für diese Gesinnungswandel ist Ignaz Heinrich von Wessenberg: ein liberaler, die Demokratisierung der katholischen Kirche anstrebender Generalvikar, Bildungsreformer und sozial fortschrittlich im Widerstand gegen das Metternich-Regime.

Eine völlig andere Komponente des Widerstands, das Märtyrertum des Tschechen Jan Hus, wird bis heute klein gehalten und nur von Pragern gepflegt.

Erst im Nachwirken der APO wurde Hecker nach Konstanz zurückgeholt. 1976 ließ der "furchtbare Jurist" Filbinger, der noch nach Kriegsende deutsche Soldaten zum Tod verurteilte und dies selbst 30 Jahre später für absolut richtig hielt, die Allgemeinen Studentenausschüsse (AStA) auflösen. Die neu entstehenden Fachschaften wählten als Gallionsfigur Hecker. So erhielt die Universität in der rebellischen Subkultur den Namen "Friedrich-Hecker-Universität".

Die FDP kam zwei Jahre zu spät. Auf einem Ausstellungsplakat für die badische Revolution tauchte dasselbe Heckerbild auf wie bei den Studenten, freilich: das Gewehr in der linken Hand war wegretouschiert. Bildzensur - ein hübsche Leistung des modernen "Liberalismus".

Rundgang durch die Altstadt. Stephansplatz, Bürgersaal. Einst Franziskanerkloster, seit 1818 Kaserne, 1845 Stadthaus. Die Fassade mit dem riesigen, dreiteiligen Keramik-Relief des Berliner Künstlers Johannes Grützke. Angebracht wurde es 20. 6. 1998 unter dem Balkon, von dem aus Hecker am 12. 4. 1848 die Republik proklamiert haben soll. Thema: Aufbruch des Heckerzugs am 13. 4. 1848 von Konstanz. Linkes Bild: eine Menge argwöhnischer, ängstlicher oder begeisterter Gesichter. Mittelbild: Hecker beim Aufruf zum bewaffneten Widerstand, auf der Hand balanciert er die Freiheit als kleine Nacktfigur, links Gustav Struve. Rechtes Bild: eine bewaffnete Gruppe marschiert ab, mittendrin der Künstler als Schelm.

Martin Walser/Johannes Grützke: Der edle Hecker, 1998 (auf 10 reproduzierten Litografien der Heckerzug); Gerd Zang/Elisabeth v. Gleichenstein: Die Revolution 1848/49 am See, 1998.

Stadthaus: Die Volksversammlung vom 16. 3. 1848 debattiert über die Republik. Bürgermeister Hüetlin droht für den Fall der Proklamation mit Rücktritt, auch der spätere Abgeordnete Dekan Dominik Kuenzer ist dagegen, "im Alleingang" diese Frage "in einer so kleinen Ecke des Vaterlandes" zu entscheiden. Während der Offenburger Versammlung vom Sonntag, dem 19. 3., wartet das Konstanzer Bürgermilitär auf das Zeichen zur Erhebung.

Stadthaus: Am 12. 4. 1848 hält Hecker eine Volksversamlung ab und erklärt im überfüllten Saal, "Baden müsse vorangehen, es werde ganz Deutschland ihm folgen; er sei bereit, alles zu opfern, doch verwahre er sich gegen Landesverrat durch Zuziehung der französischen Hilfe." Gemeint ist die deutsche Arbeiterlegion aus Paris unter Herwegh. Diese opportunististsche Distanzierung zersplittert die schwachen Kräfte und erntet bei den Vorsichtigen und Gegnern dennoch keine Sympathien.

Der Kanton Thurgau lässt ab dem 12. 4. Kreuzlinger Landjäger die politische Lage auskundschaften, Polizeikräfte schleichen in Zivil durch Konstanzer Gasthäuser und "bessere Gesellschaften".

Am Samstag, den 16. 4. 1848, eine originelle "Konstanzer Revolution". Allgemeine Straßendiskussionen, wie es weitergehen soll, Hecker erwartet in Stockach weitere Zuzüge. Über Nacht hat "die fürstendienerische Gegenpartei" Flugschriften gegen die Erhebung produziert und lässt sie, dämlich genug, "durch den uniformierten Amtsdiener unter das Volk verteilen".

An jeder Ecke der Stadt heftige Gespräche, Briefe und Flugschriften werden vorgelesen. "Kecke Frauen waren unerschöpflich an Witz und Spott über die Schläfrigkeit und den Hosenschlotter gewisser Männer." Als "Gegengift" gegen die reaktionäre Propaganda tauchen Witzblätter, Parodien usw. auf, die leider als verloren gelten müssen. Die Zettel der Reaktion werden als "Angst- und Lügenzettel" entlarvt und vor den Augen der Polizei massenweise zerrissen und verbrannt. Am nächsten Tag wird diese fröhliche Straßendemokratie durch die Ankunft bayerischer Truppen erstickt, die aber bald ausgetauscht werden müssen, weil sie über die Grenze nach Kreuzlingen gehen und in den Kneipen mit den emigrierten Freischärlern des Heckerzugs fraternisieren.

Schieber: Konstanzer Freiheitschronik vom Jahr 1848, Reprint 1998, S. 77-79.

Am 11. 7. 1849 hält der badische Revolutionsminister Goegg um 1 Uhr nachts vom Balkon die Abschiedsrede für die Reste der geschlagenen Freiheitstruppen. Vorher verteilt er die Staatskasse als Sold. (Herrliche Idee, war aber leider nicht mehr viel drin!)

"Goegg verglich die Größe des Zieles mit dem jetzigen Augenblick, erinnerte an die Zeit der Offenburger Versammlung, wie alles voll herrlicher, goldener Hoffnungen gewesen sei, wie an die jetzige Trauer und forderte zu Ausdauer, zur Standhaftigkeit, zur Hoffnung auf baldiges Wiedersehen im freien Vaterlande auf. Er schloss mit einem Lebehoch auf das künftige, einige, freie Deutschland, in welches alle mit Begeisterung einstimmten. Der Morgennebel bedeckte die Abschiedsszene mitleidig mit einem Schleier; die Trommeln wirbelten; die Soldaten umarmten sich und weinten. Doch der Morgenwind wehte frisch und blies die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wach. Das war einer jener Momente, wo das Unglück sich in den Schleier der Schönheit hüllt und anzieht, anstatt zu erschrecken."

Um 4 Uhr morgens betreten die Besiegten Kreuzlingen, als Flüchtlinge.

Becker/Essellen: Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution, 1849, S. 438.

Stephanskirche. Am 12. 4. 1848, als man in der Stadt von einer baldigen Republik redet, taucht auf dem Zifferblatt der Turmuhr eine schwarz-rot-goldene Kokarde auf.

Bei der Renovierung der Kirchturmspitze 1985 entdecken Handwerker in der goldenen Kugel, auf der Kreuz und Hahn stehen, eine Bleikassette. Neben vergammelten Reliquien findet sich politisches Schmuggelgut revolutionärer Zeiten aus dem Jahr 1836: ein von der Polizei verfolgter Druck der Reden auf dem Hambacher Fest, eine Lithographie des Zugs auf das Hambacher Schloss. Stifter des listigen Verstecks war der Konstanzer demokratische Kaufmann Carl Zogelmann (1808-88), später Teilnehmer der Revolution, der in die Schweiz emigrieren musste und erst 1857 zurückkehrte. 1862 lässt er mit seinem Geld den "Hussenstein" aufstellen.

Untere Lauben, auf der Höhe von Nr. 24, steht der geistreiche Brunnen des Bildhauers Peter Lenk (siehe am Hafen seine Imperia): rasante Autofahrer spuken auf Badende herunter. Am früheren Haus von Nr. 73 lag 1415 Hus' Anhänger Hieronymus von Prag in Haft, bevor auch er den Scheiterhaufen besteigen musste.

Hussenstraße 4: 1848 Redaktionssitz der demokratischen "Seeblätter", der besten Zeitung Süddeutschlands.

Hussenstraße 6: ehemals "Haus zur Sonne", 1848 Treffpunkt der Republikaner.

Hussenstraße 13: einst "Badischer Hof", heute städtischer Ratssaal. Hier trifft sich am 11. 4. 1848 der enttäuscht aus Frankfurt kommende Hecker mit seinen Anhängern Mögling, Sigel und Struve, um die 1. Erhebung vorzubereiten.

Kanzleistraße 15: Nach der Pariser Februarrevolution tritt am 5. 3. 1848 ein permanentes Komitee zusammen, um rasch reagieren zu können. Ihm gelingt nach den blutigen Berliner Märzkämpfen die sofortige Bewaffnung der Demokraten. Nach der Revolution werden im Hintergebäude Konstanzer Teilnehmer gefangen gehalten.

Hussenstraße 14: Herberge des 1416 hingerichteten Hussiten Hieronymus von Prag.

Hussenstraße 15: Das Geschäft des sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Karl Großhans, der am 16. 3. 1933 verhaftet wird. Am Abend vorher warnt ihn ein deutscher Zollbeamter am Emmishofer Zoll vor der bevorstehenden Verhaftung.

Am selben Tag wird der sozialdemokratische Stadtrat Hans Venedey aus einer alten Demokratenfamilie verhaftet. Seinen Bruder Dr. Hermann Venedey entlässt man am 7. 4. 1933 aus dem Schuldienst, weil er nicht unter der Hakenkreuzfahne unterrichten will. Flucht nach Basel. Die Nazizeitung nennt Venedey einen "Salonbolschewisten", der jahrelang "die deutsche Jugend vergiften konnte". Die Schweiz sei schon lange "das Asyl gewerbsmäßiger Volksverräter" geworden. Die ganze Familie sei "vom Liberalismus zum Bolschewismus abgeglitten", er kein Deutscher mehr, weil er behaupte, "daß Deutschland der Hauptschuldige am Weltkrieg sei".

Hussenstraße 64, beim Schnetztor, "Hus-Haus": Hier lebte Hus 1414 während des Konstanzer Konzils, als er noch ein freier Mann war. Häuschen und Grundstück werden 1922 von der Gesellschaft des Hus-Museums in Prag erworben, von den Nazis als antideutscher Fremdkörper empfunden, doch nie angetastet. 1936 Errichtung des ersten Gedenkraums durch die Prager Hus-Gesellschaft. 1979/80 wird das Haus von der Stadt Prag mit tschechischen Handwerkern für 2 Mio DM neu aufgebaut und das Hus-Museum eingerichtet. Konstanz lässt sich alles bezahlen. Seitdem ist das Haus ein Wallfahrtsort der Tschechen. Die Hussenstraße hieß vor der Reichseinigung Paulusstraße, 1938 Umbenennung in Römerstraße.

Der Vatikan hat Hus bis heute nicht rehabilitiert, das Verbrechen nie bereut.

Hushaus geöffnet Di-Sa 10-12, 14-18, So 10-12, 14-16 Uhr. Sommer 1. 6. - 30. 9. Di-So 10-17 Uhr. - Gegenüber liegt ein herrliches Antiquariat.

Haasis: Spuren der Besiegten, I, S. 283ff (der wenig bekannte deutsche Hussitismus); Ferdinand Seibt (Hg.): Jan Hus, 1997; Jan Hus und die Hussiten in europäischen Aspekten, 1987; Hermann Heimpel (Hg.): Drei Inquisitions-Verfahren aus dem Jahre 1425. Akten der Prozesse gegen die deutschen Hussiten, 1969.

Schwedenschanze: Vor dem Garten des Wessenberg-Sozialzentrums steht seit 1983 eine Gedenktafel für Georg Elser. Bei Nr. 10 wollte der Hitlerattentäter am 8. November 1939 gegen 20 Uhr 30, eine Stunde vor der Explosion seiner Zeitzünderbombe im Münchner Bürgerbräukeller, die Grenze überschreiten. Elser ging links am Haus vorbei und wurde 25 m vor dem rettenden Zaun von Zöllnern gestellt und abgeführt.


Haasis: "Den Hitler jag' ich in die Luft", Georg Elser, 1999.

Der Hussenstein liegt im Stadtteil Paradies, Döbelestraße, bei der Stadtgärtnerei, rechts zwischen riesigen Linden fast versteckt. Dort findet man jedes Jahr Anfang Juli frische Kränze mit tschechischen und deutschen Schleifen der Gesellschaft des Hus-Museums in Prag. Am 6. 7. 1415 wurde hier Hus als rebellischer Geistlicher einer freien Kirche verbrannt. Am 7. 6. 1416 endete hier auch Hieronymus von Prag im Feuer. Der erste Denkmalplan 1834 von Bürgermeister Hüetlin wurde durch Metternichs Intervention in Karlsruhe verhindert. Den Stein ließ 1862 der Konstanzer Demokrat Zogelmann auf eigene Kosten errichten. 1868 erste Gedenkfahrt der Prager Hus-Gesellschaft.

Andreas Nohl: Hieronymus. Chronik eines Verrats [Roman], 1993; Melchior Vischer: Jan Hus, 1940.

Der Saubach am Gottlieber Zoll trennt den Konstanzer Stadtteil Paradies vom schweizerischen Tägermoos. Mitten durch die Stadt führt ein Grenzzaun, ein hässliches Stück nationaler Trennung, wie es entlang der gesamten deutsch-schweizerischen Grenze keines mehr gibt. Die Thurgauer schätzen den Zaun sehr als "Schutz vor Asylanten".

In dieser Gegend wollten 1938 österreichische Juden in die Schweiz flüchten, als es noch keine Absperrung gab. Nach dem Anschwellen der Flüchtlingsströme 1938 - Österreich ist soeben überfallen - errichten die Nazis einen 3 m hohen Stacheldrahtzaun, nach dem Typus der KZ-Zäune. Die Konstanzer Juden machen die Erfahrung, dass der angrenzende Kanton Thurgau antisemitisch, fremdenabweisend und nazifreundlich ist. Wer damals Flüchtlingen half, hieß bei den Thurgauern nur "Emigrantenschlepper". Der deutsche Judenexperte Hans Globke und der Schweizer Polizeichef Dr. Rothmund einigten sich darauf, den deutschen Juden ein rotes J in den Pass zu stempeln, so dass die Flüchtlinge gleich zur Sonderbehandlung empfohlen waren.

Arnulf Moser: Der Zaun im Kopf. Zur Geschichte der deutsch-schweizerischen Grenze um Konstanz, 1992.

Fischenzstraße 1: Bis zum Brand von 1932 stand hier die Uhrenfabrik Schuckmann, in der der spätere Hitlerattentäter Georg Elser seine Grundkenntnisse des Uhrenbaus erwarb, so dass er am 8. 11. 1939 den Münchner Bürgerbräukeller in die Luft sprengen konnte.

Turnierstraße 26: Die Wohnung des Schreiners Karl Durst, der täglich zur Arbeit nach Kreuzlingen geht. Eine "Anlaufstelle" der illegalen Sozialdemokratie, wo von 1933 bis 1936 flüchtige Parteifunktionäre in die Schweiz gebracht und illegale Druckschriften geschmuggelt werden.

Petershausen: Hier bildet sich selbst Anfang März 1933 nach dem Reichstagsbrand ein kommunistischer Arbeiterzug, der über die Brücke in die Lauben und Bodanstraße geht. Auf dem Bodanplatz trifft er auf einen Zug der SA, der von der Markstätte losgezogen ist. Die Polizei, lastwagenweise herangekarrt, löst den Arbeiterzug vom Hafen her auf und treibt die Leute durch die Rosgartenstraße, wobei eine Menge Schaufenster zu Bruch geht.

Klosterhof: Hier exerziert die Bürgerwehr ab März 1848, aber beim Heckerzug am 13. 4. macht niemand mehr aus der Führung der Bürgerwehr mit.

Mainaustraße 29: Einst Zentrale der Konstanzer Gestapo. Hier wird der Hitlerattentäter Georg Elser in der Nacht des 8./9. 11. 1939 im 1. Stock verhört und dann nach München gebracht.

Marktstätte: Nach der Verhaftung von Fickler in Karlsruhe am 8. 4. 1848 durch den Verräter Mathy verbrennen hier Sensenmänner Mathys Bild. Am 13. 4. Sammelplatz für den Ausmarsch zum Heckerzug, es erscheinen nur 40 Teilnehmer, meistens arme Handwerksgesellen und Arbeitslose.

Nach Hitlers Machtantritt am 30. 1. 1933 verteilen Kommunisten in der nächsten Nacht hier Flugblätter, die zum Generalstreik auffordern. Der Betrieb des Textilwerks Strohmeyer wird durch sie stillgelegt.

Konzil: Während des Konzils fand hier 1417 die Papstwahl statt. Vor 1848 befand sich hier das erste Hus-Museum, dessen Direktor war der radikale Demokrat Joseph Fickler, Chef des oppositionellen Bellevue-Verlags in Kreuzlingen Redakteur der radikalen "Seeblätter" und Haupt der Dissidenten (Deutschkatholiken), 1848 eine wichtige Persönlichkeit neben Hecker. Er hält hier 1846 deutschkatholische Gottesdienste ab. Karl Rotteck empfiehlt bei einem Besuch, das erste Dampfschiff des Bodensees"Jan Hus" zu nennen.

Am 3. 12. 1848 erfolgt von hier der Abmarsch zur Totenfeier für den in Wien ermordeten deutschkatholischen Abgeordneten Robert Blum. 1.200 Trauergäste ziehen zum Stadthaus, wo die Trauerfeier stattfindet, weil kein Geistlicher eine Kirche zur Verfügung stellt. Das Militär ist in Alarmbereitschaft.

Hafen: Am 6. 4. 1848 geht das Gerücht um, reaktionäre Soldaten würden die Stadt besetzen. Zur Verteidigung wird die kleine Küstenstrecke nach Kreuzlingen durch Schanzen verbarrikadiert, eine Aufschichtung von Kot und Backsteinen, dazwischen Kanonen und Wände aus horizontalen Bohlen, hinter denen im Ernstfall Schützen stehen sollen. Blinder Alarm. Ein Schweizer Spion macht sich in seinem Bericht über die untaugliche Anlage lustig.

Hafeneinfahrt mit der Imperia: Die weithin vorteilhaft wirkende weibliche Gestalt verdankt sich einer von Balzacs "Tolldreisten Geschichten". Die Arbeit des Bildhauers Peter Lenk, 1993 aufgestellt, ist eine geistreiche Rache des modernen Konstanz am Pfaffentum, die Freiheitsstatue einer aus langer Bevormundung sich befreienden Stadt. Zuerst empört diskutiert, hat man sie inzwischen richtig liebgewonnen.

Die Story: als zur Zeit des Konstanzer Konzils eine päpstliche Kutsche umstürzte, purzelten flotte Damen vor die Füße der erstaunten Gläubigen. Die Statue ist 9 m hoch, 18 Tonnen schwer und dreht sich in 4 Minuten einmal herum, um Imperias Reize von allen Seiten sehen zu lassen. Was für ein Busen! Ein bisschen viel Silicon. In ihren Händen hält Imperia zwei Wichte: den einen mit Kaiserkrone und Reichsapfel, den anderen mit der päpstlichen Tiara.

Münster. Tagungsort des Konstanzer Konzils von 1414 bis 1418. Hier wurde über Hus und Hieronymus der Tod beschlossen. Heute fehlt ein Hinweis an diesem Ort der Schande.

Münsterplatz 5: Das Haus des Demokraten und Anwalts Ignaz Vanotti, der knapp über der Grenze in Kreuzlingen 1839 den zensurfreien Exilverlag Belle-Vue gründet. Mit der Niederlage der Revolution muss er in die Schweiz flüchten, kehrt nach 10 Jahren verarmt zurück und stirbt 1870 vergessen. Sein Vetter, der Arzt Eduard Vanotti, nimmt im April 1848 am Heckerzug teil.

Wessenberghaus: Wessenbergstraße, beim Münster. Als Wessenberg mit seiner Reformpolitik an Österreich scheitert, wird der Bischofssitz 1827 von Konstanz nach Freiburg verlegt und die Diözese geteilt, was der geistigen Freiheit der Stadt nur gut tat.

Stadttheater: Früher war es ein Jesuitentheater mit agitatorischen Stücken gegen den verbrannten Hus, wobei man eine Puppe zu verbrennen pflegte, um in Übung zu bleiben. Kein Wunder, dass später die Demokraten die Jesuiten nirgends schätzten.

Inselhotel: Einst ein Dominikanerinnenkloster, der Kreuzgang steht noch. Hier war Hus 1415 inhaftiert, das Gefängnis existiert nicht mehr, ein Fragment davon ist im Hus-Haus zu sehen.

Rheintor: Von der Rheinbrücke streuten die Pfaffen 1415 die Asche von Jan Hus in den Rhein. Über die Brücke führte im Dritten Reich die"Horst-Wessel-Straße". Die Konstanzer sagen heute stolz: Hitler besuchte nie Konstanz, er kam nur bis Radolfzell. Konstanz war eine Hochburg des katholischen Zentrums.

Kreuzlinger Tor: Ecke Kreuzlingerstraße/Schwedenschanze, 1866 abgebrochen. Hier verweigern Kreuzlinger Demokraten nach der bayerischen Besetzung von Konstanz im April 1848 den Soldaten den Übergang und lassen nur Sympathisanten über die Grenze.

Nach Heckers Niederlage bei Kandern emigrieren 100-150 in den Thurgau und halten sich in Kreuzlinger Gasthäusern auf. Sigel bleibt hier bis zu Struves Zug nach Lörrach im September 1848.

Am 11. 7. 1849 kommen die letzten Besiegten der badischen Freiheitsarmee durch das Tor. Trotz aller Bitterkeit sind sich die Geschlagenen ihrer historischen Bedeutung bewusst.

"Wir haben eine Revolution scheitern sehen, welche als die Ouvertüre eines großen Dramas die Aufmerksamkeit der zivilisierten Welt verdient und die in die Denktafeln der Weltgeschichte mit unvergesslichen Zügen eingezeichnet ist."

Becker/Essellen: Geschichte der süddeutschen Mai-Revolution, 1849, S. 451.
Reinhold Reith: Bürgerliche und plebejische Gasthauskultur im vormärzlichen Konstanz, in: Jochen Kelter (Hg.): Konstanzer Trichter. Lesebuch einer Region, 1983, S. 54-60; Gert Zang: Das Wirtshaus als Ort der politischen Kultur, ebenda S. 61-73.

 

KREUZLINGEN

Durch das Kreuzlinger Tor stürmten im April 1499 beim Schwabenkrieg 5.000 Kaiserliche, die von 1.500 Eidgenossen beim nahegelegenen Schwaderloh verheerend geschlagen wurden.

"Villa Belle-Vue", Hauptstraße 14, heute CWL-Haus, vorher Binswanger-Klinik: Gerade 100 m von der Grenze entfernt richtet der Konstanzer Demokrat und Anwalt Franz Vanotti 1839 eine freie Druckerei und einen legendären Exilverlag ein. Als Erscheinungsort nennt er "Belle-Vue bei Constanz" und führt so die badische Polizei an der Nase herum. Hier erscheint Wirths Zeitung "Deutsche Volkshalle", das damals radikalste deutsche Blatt. Viele Bücher des Verlags bekommen wegen des Verbots eine extra kleine und dünne Form, um leichter über die grüne Grenze zu schlüpfen. Das erste Taschenbuchformat - eine Antwort auf die Polizei. Eine komplette Sammlung dieser Exilliteratur kann man heute in der Thurgauischen Kantonsbibliothek (Frauenfeld) lesen.

Die Ironie der Geschichte: das Verlagshaus wurde später ein "Asyl für Nerven- und Gemütskranke". Heute sorgt man darin für die Bandenwerbung des Deutschen Fussballbundes.

Im "Löwen" fanden 1845 die in Konstanz verbotenen Gottesdienste der Deutschkatholiken statt.

Ernst Herdi: Geschichte des Thurgaus, 1943; Michail Krausnick: Johann Georg August Wirth, 1997 (S. 205ff über Wirths publizistische Tätigkeit in Kreuzlingen); Heinz Bothien (Hg.): Die Exilantendruckerei Belle-Vue bei Constanz 1840-1848, Frauenfeld 1998; Hermann M. Venedey: Belle-Vue bei Constanz. Geschichte eins politischen Verlages im Vormärz, 1973.

Nach dem Verbot der deutschen Sozialdemokratie übernimmt Joseph Belli, "der rote Feldpostmeister", der seit 1877 eine Schuhmacherei in Kreuzlingen betreibt, 1879 den Schmuggel des in der Schweiz gedruckten "Sozialdemokraten" entlang der Bodenseegrenze nach Deutschland.

Als eines Abends ein bekannter Konstanzer Spitzel, genannt "der Windhund", wieder einmal vor Bellis Kreuzlinger Wohnung schnüffelt, reisst Bellis Frau die Tür auf und schüttet ihm den vollen Spülkübel ins Gesicht und den Ruf hinterher: "Dies für die Wacht am Rhein!"

Die Ballen mit verbotener Ware werden von Kreuzlingen und Münsterlingen mit Nachen nach Konstanz gerudert, drüben wartet in einem Versteck ein Zimmermann mit einem Wagen. Wenn die Thurgauer wegen eines Schmugglers zuviel Ärger mit den badischen Behörden bekamen, konnten sie ihn auch schon mal gefesselt an die Grenze schleppen und ausliefern.

Joseph Belli: Die rote Feldpost unterm Sozialistengesetz, 1912, Neudruck 1956, Auszüge in Rolf Weber (Hg.): Rosen unter Alpenschnee, 1983, S. 366ff.

 

ERMATINGEN

Der Ortsvorsteher Seiler verweigert 1849 die rigide Internierung der deutschen Emigranten. Seiler habe, wie der Chef der Thurgauer Landjäger schreibt, "selbst Flüchtlingen in seinem Haus Unterschlupf gegeben und als denselben durch den Landjäger Kreis die Internierungsscheine zugestellt wurden", gesagt:

"Es ist dies ein barbarisches Verfahren gegen diese Leute, wir befinden uns noch nicht in Russland. Der Landjäger möge dem Chef des Corps nur sagen, wenn er so dreinfahre, so werde er (Seiler) nicht mehr lange an seiner Stelle verbleiben."

 

MAINAU

Nach Kriegsende 1945 kommen erschöpfte französische Häftlinge aus dem KZ Dachau hierher in Quarantäne und zur Erholung. Sie werden einquartiert in Baracken der Nazizeit, der Organisation Todt, die vorher hier ein Erholungsheim betrieb und bis Kriegsende hier französische Kollaborateure wohnen ließ. Von den Baracken, 1951 abgerissen, zeugen heute noch Grundmauern. Da nur schwächste Ex-Häftlinge hierher gelangen, sterben noch viele, die auf der Insel begraben werden.

Graf Bernadotte lässt 1946, als die Franzosen abzogen sind, die Leichen exhumieren und auf einer französischen Militärabteilung des Konstanzer Friedhofs erneut bestatten: 33 späte Opfer. Die Insel soll keine Spuren ihrer Gewalt-Geschichte bewahren. Die idyllische Blumeninsel - Trugbild und Geschichtsklitterung.

Arnulf Moser: Inseln der Glückseligkeit. Die Reichenau und die Mainau als Erholungsorte für französische KZ-Häftlinge 1945, in: Allmende, Nr. 38/39, 13. Jg. 1993, S. 203-215; Ders.: Die andere Mainau 1945. Paradies für befreite KZ-Häftlinge, 1995.

 

 

REICHENAU

1499 Ausgangspunkt eines deutschen Invasionsheeres gegen die rechtsbewussten, aufmüpfigen Eidgenossen.

Eingang zur Insel. Als Anfang Juli 1849 die Reste der Freiheitsarmee sich der Grenze nähern, haben die einst in die Schweiz geflüchteten großherzoglichen Gendarmen, denen die Schweizer im Exil die Waffen gelassen haben, den Zugang zur Insel stark verbarrikadiert.

Vor 1945 befand sich im Ort eine Eliteschule der Nazis, nun ist er ein Erholungsort für KZ-Häftlinge, weswegen die Einwohner evakuiert wurden. Einer der Befreiten über seine ersten Empfindungen:

"Dann lernten wir wieder Mensch zu werden bei einem Spaziergang, aber nicht mehr von Baracke zu Baracke in einem von Stacheldraht umzäunten Gebiet, das von Wachtürmen überragt war, sondern in einem schmucken kleinen Städtchen, wo wir loszogen, um die Häuser unserer Freunde zu finden, wobei wir auch noch die Aussicht auf eine hübsche Landschaft genossen..... Und dann gab es da einige kleine Boote, die Ruder an Bord, Und wenn es auch nicht das Meer war, was für ein Vergnügen, eine kleine Runde auf dem Wasser zu drehen, zu träumen, dass man so bis nach Frankreich rudern könnte - selbst wenn mein körperlicher Zustand mir die Reise untersagte." (A. Moser: Inseln der Glückseligkeit, S. 212)

Carola Buchwald u.a.: Die Reichenau im Sommer 1945. Erholung für KZ-Häftlinge aus Dachau, Evakuierung der Einwohner, Reichenau 1994.

 

ST. GALLEN

Klosterhof: Während der Revolution der Fürstenländer gibt es hier im Oktober 1795 und im Sommer 1797 große Volksaufläufe und Demonstrationen. Bei den Kundgebungen dient der Brunnen im Klosterhof als Rednertribüne. Als französische Truppen 1799 die Schweiz besetzen, wird am 21. 1. 1799 im Hof ein Freiheitsfest zelebriert. An die Spitze des Zugs durch die Stadt stellt General Massena eine leicht geschürzte "Göttin der Freiheit" , umgeben von Nymphen.

Das Tafelzimmer im südlichen Flügel des Regierungsgebäudes: Der Fürstabt vereinbart im Oktober 1795 mit den Revolutionsausschüssen des Fürstenlandes im "Gütlichen Vertrag" die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Übertragung wichtiger Rechte auf das Volk. Ein einmaliger Vorgang in der alten Eidgenossenschaft vor der Helvetischen Republik.

Der Großratssaal im östlichen Regierungsflügel: Parlamentssaal, in dem 1803 erstmals der Kanton St. Gallen proklamiert wird, in Abwendung von der Helvetik. Hier führt man mit der Verfassung von 1831 die Volkssouveränität ein, verankert erstmals in der Schweiz die Mitsprache des Volks bei der Gesetzgebung mittels des "Veto", heute Referendum. Die künstlerische Gestaltung des Saals von 1882 zeigt in Allegorien den liberalen Staat.

Kantonspolizei, Moosbrugger Straße: Amtssitz des Polizeichefs Grüninger, der wegen ausgedehnter Flüchtlingshilfe 1939 entlassen und bestraft wird.

Moosbrugger Straße 14: Amtswohnung von Grüninger.

Freiheitsstein am Schlössli: Spisergasse/Ecke Zeughausgasse. Im Fall von Totschlag gab es im Mittelalter in Kirchen, Friedhöfen und Klöstern Asyl. Eine dieser Zufluchtsstätten war das Kloster St. Gallen. Innerhalb "Jahr und Tag", was genau 1 Jahr, 6 Wochen und 3 Tage bedeutete, hatte der Geflüchtete die Chance, seine Angelegenheiten zu regeln. Als 1566 zwischen Kloster und Stadt eine Scheidemauer entstand, bestimmte der Rat als neue "Freiheit" den Platz zwischen der Klostermauer und den Häusern der Spisergasse. Der Stein war die Grenzmarke des Immunitätsbezirks. - Angesichts unverantwortlicher Abschiebungspraktiken in kriegszerrüttete Länder feiert das kirchliche Asylrecht in Deutschland Auferstehung.

Kantonsschulpark (über das Spisertor in den Burggraben zur Kantonsschule): Die Bürgerschaft der Stadtrepublik St. Gallen schwört hier am 30. 8. 1798 den Eid auf die Verfassung der Helvetischen Republik.

Militärschule auf der Kreuzbleiche und Kavalleriestall am Spisertor (beide Gebäude stehen nicht mehr): Als im Sommer 1849 eine Flüchtlingswelle auf die Schweiz zukommt, übernimmt der Kanton zuerst 723 Flüchtlinge, später werden es 1.200, im Juli 1850 sind nur noch 64 da. Das Leben der Asylanten reglementiert unerbittlich die"Kasernenordnung für die Flüchtlinge" .

Jeder hat die Pflicht, einen Verstoß gegen diese Ordnung sofort zu denunzieren, sonst wird er "als Mitschuldiger mitbestraft". Um 6 Uhr Aufstehen, Aufräumen und Saalreinigung, 7 Uhr Appell, Morgensuppe, 10 Uhr Appell, 11 Uhr Mittagssuppe, 13 Uhr Aufräumen, 14 Uhr Appell, 19 Uhr Appell, Abendsuppe, 21 Uhr Schluss der Kaserne, Appell. Wer um 21 Uhr fehlt, erleidet "besonders schwere Ahndung".

Ohne Erlaubnis darf sich keiner weiter als eine Viertelstunde von der Kaserne wegbegeben, ohne Erlaubnis kein Privathaus betreten. Wer nach 21 Uhr außerhalb der Kaserne angetroffen wird, bekommt mindestens einen Tag Polizeiarrest bei Wasser und Brot. Im Fall von Unsittlichkeit, Betrunkenheit, Untreue, Unredlichkeit, Rohheit gegen Obere, Unrecht gegen Personen folgen "strengste Polizei- oder Militärstrafen oder sofortiger polizeilicher Abschub nach der Heimat".

Haasis: Spuren der Besiegten, III, 1984, S. 777/778. Für den Rundgang danke ich Markus Kaiser (Staatsarchiv).

Polizeihauptmann Grüninger
Sein Schicksal wird 1968 von der nächsten Generation untersucht. Gegen alle Kritik bleibt die Kantonsregierung jahrelang bei der alten Leier: Paul Grüninger sei Rechtsbrecher, er werde nicht rehabilitiert.

Was hatte er getan? Grüninger war kantonaler Polizeichef von St. Gallen, verantwortlich für die Grenzwachen. Nach der Besetzung Österreichs 1938 flüchten massenweise Juden und andere in die Schweiz, sie hatten die SS erlebt und machten sich keine Illusionen mehr. Übergangsstellen für die Flüchtlinge aus dem Vorarlberg sind Buchs im St. Galler Rheintal (bei Liechtenstein), Diepoldsau (bei Hohenems, im Juli 1938 ist hier der Rhein halbtrocken, die Flüchtlinge kommen rechts vom Zollamt durch das Gebüsch, bereits informiert mit Fotos und Skizzen über den Fluchtweg) und St. Margarethen (Bodensee). St. Gallen errichtet ein Flüchtlingslager in Diepoldsau (in einer leerstehenden Stickerei), für die Kosten kommt die Israelitische Gemeinde auf. Unter den Flüchtlingen sind Autoren wie Walter Mehring und Carl Zuckmayer.

Die Schweizer Regierung erschwert die Flucht, antisemitische Töne kommen auf, wie sie aus Berlin stammen könnten. Im August 1938 erklärt Bern die Grenze für gesperrt, doch Grüninger drückt weiter die Augen zu und weigert sich, die Flüchtlinge in den Tod zu schicken. Die St. Galler wissen durch ihre Zeitungen recht genau, wie es im Nazireich zugeht. Grüninger wird am 3. 4. 1939 fristlos entlassen, angeklagt und 1940 verurteilt.

Heute gilt er als ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage, als Retter Hunderter von Flüchtlingen, sein Name ziert Ehrentafeln in Washington und Los Angeles.

Gegen den erbitterten Widerstand der St. Galler Behörden beschließt das Bezirksgericht 1996, dem 1972 gestorbenen Grüninger den Tatbestand der "Notstandshilfe" zuzubilligen. Grüningers Fälschungen bei Einreisedaten und Berichten an den Bund seien nicht rechtswidrig gewesen, weil er nur so das Leben jüdischer Flüchtlinge vor dem Tod in einem Konzentrationslager retten konnte.

1998 bewilligt das Kantonsparlament 1,3 Millionen Franken für eine "Paul-Grüninger-Stiftung". Diese Summe war Grüninger seit der Entlassung an Gehalt und Pension entgangen.

Stefan Keller: Geschichte von Flucht und Hilfe. Der Fall Grüninger, in: Allmende, Nr. 38/39, 13. Jg., 1993, S. 5-30; Ders.: Grüningers Fall. Geschichten von Flucht und Hilfe, Zürich 1993; Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir, 1966 (Autobiografie, darin seine Flucht).
Historisches Museum St. Gallen, Museumstr. 50. Di-Sa 10-12, 14-17. So 10-17. Tel. 0041-71-244 78 32.
Friedhof in Au: Grabstätte von Paul Grüninger (1891-1972) und seiner Frau Alice (1897-1984).

 

HERISAU (Appenzell Außerrhoden)

Der beeindruckende Platz der Landsgemeinde ist eine Gelegenheit, an die großartige Appenzeller Freiheitsbewegung zu erinnern. Die Landsgemeinde als alte Demokratieform wurde 1996 abgeschafft, in Appenzell Innerrhoden mit Tagungsort Appenzell besteht sie noch. Die frühen Siege der Appenzeller Bauern erschütterten die Feudalherrschaft der Habsburger im Vorarlberg, was 1391 auch dort zu einer Eidgenossenschaft führte. Habsburg konnte sie nur mit Militärgewalt brechen. 1405 schloss die Stadt Feldkirch sich dem Freiheitsbund von Appenzell und der Stadt St. Gallen an. So entsteht der "Bund ob dem See", eine "Einung", wie man eine Republik damals nennt. Der Bund zerstört eine feudale Zwingburg nach der andern.

Den Höhepunkt der antifeudalen Kampagne stellt im Jahr 1406 der Marsch des Appenzeller Aufgebots über Oberstaufen bis Kempten dar, eine Expedition von 250 km. Der deutsche Süden riecht stark eidgenössisch. Die benachbarten Bauern gründen ihrerseits einen "Neuen Bund" und nennen sich "die gemeine Bauernschaft im Allgäu".

Die 2. Appenzeller Expedition reicht bis nach Tirol hinein: über den Arlberg ins Stanzertal bis Landeck. Eine Marschleistung von 350 km und über zwei Pässe. Selbst eine Habsburger Chronik muss zugeben:

"Im Jahr 1407 und vorher herrschten die Appenzeller überall im Land und waren gegen alle Herrschaften und besonders gegen diejenigen, welche um sie herum lagen und zu denen sie gelangen konnten. Im Thurgau und in der Nähe brannten und brachen sie die Burgen nieder. Zur selben Zeit war ein Laufen in die Bauern gekommen, dass sie alle Appenzeller sein wollten. Und niemand wollte gegen sie Widerstand leisten. Die Bürger von Feldkirch und das ganze Land hatten zu den Appenzellern geschworen. Sie brachen daselbst Montfort, Tosters und viele Festen dort in der Nähe nieder. Sie zogen über den Arlberg und nach Landeck hinein, was ihnen niemand verwehrte, weil die Bauern alle gerne Appenzeller sein wollten. Es war ein wunderliches Laufen, doch währte es nicht lange."

Haasis: Spuren der Besiegten, I, S. 279/280.

Die Feudalherrn schließen sich zusammen und gehen mit politischen Tricks (selbsternannten "Schiedsgerichten") und einem Wirtschaftskrieg vor: sie blockieren die Kornausfuhr in den Bodenseeraum, was eine große Hungersnot zur Folge hat. Die freien Bauern werden mit der Reichsacht und dem päpstlichen Bann belegt, die schwäbische Ritterschaft überzieht das Land mit Krieg.

 

GAIS (Appenzell Außerrhoden)

Zwischen Gais und Altstätten fand in den Appenzellerkriegen am 17. 6. 1405 die Schlacht am Stoß statt. Die Schlachtkapelle liegt am Stoß, auf dem Pass (942 m) von Altstätten nach Gais. Zur Kapelle gibt es bis heute jedes Jahr eine Prozession, "die Stoßwallfahrt", der politische Sieg wird religiös-patriotisch gefeiert. 100 m östlich davon steht seit 1905 ein vom Kanton Außerrhoden aufgestellter Obelisk.

Die alten Schlachtfelder der eidgenössischen Freiheitskämpfe machen ein Kernstück des schweizerischen Geschichtsbewusstseins aus. 1905 betonte die Appenzeller Zeitung: mit ihren Freiheitskämpfen habe die Schweiz einen "Beitrag zum Fortschritte europäischer Kultur" geliefert. Das sah man im feudalen Europa noch lange anders.

Ein von Habsburg und dem Abt von St. Gallen aufgestelltes Invasionsheer sucht sich 1405 das Appenzeller Land zu unterwerfen. Marschroute: von Rheineck das Rheintal aufwärts bis Altstätten, dann auf einem steilen Weg bis zum Stoß (bei Gais, 7 km von Altstätten), wo eine Schanze mit Verhau die engste Stelle versperrt, die Pforte zum Appenzeller Land.

Oberhalb des Passes liegen Bauern von Appenzell-Innerrhoden im Hinterhalt, verstärkt durch Freischärler aus Schwyz und Glarus. Wetter und Gelände begünstigen die Verteidiger: nasskalt, das schwerfällige, gepanzerte feindliche Reiterheer erschöpft durch einen 25 km-Tagesmarsch, der Weg steil hinauf, eng, die Flanken nicht kontrollierbar.

Die Verteidiger greifen zu einer List: sie lassen die Schanze unverteidigt liegen, verstecken sich auf der Höhe. Die feindlichen Reiter können sich in der Enge nicht entfalten, die Bogenschützen bei der Nässe nicht schießen. Die sorglose, lange auseinandergezogene Marschkolonne wird aus der Höhe angegriffen, zerschlagen und bis ins Tal nach Altstätten verfolgt.

Die Appenzeller Bauern legen die Hände nicht in den Schoß, sondern antworten mit einem Volksaufstand, greifen alle umliegenden Feudalherren an, zerstören deren Burgen und gründen den "Bund ob dem See", der das südliche Bodenseegebiet bis ins Vorarlberg beherrscht und von Feudalherren säubert.

 

VÖGELINSEGG (Appenzell Außerrhoden)
bei Speicher, mit der Trogener Bahn von St. Gallen aus zu erreichen

Das Denkmal auf der Vögelinsegg steht an falscher Stelle, der Freiheitskampf fand weiter unten statt, noch auf Stadtsanktgaller Boden im sogenannten Loch.

Seit 1367 kämpfen die Appenzeller Bauern gegen den Abt von St. Gallen, der ihre Rechte sich aneignen will. Als der Abt sich mit Habsburg verbündet, schließen die Appenzeller 1401 ein Bündnis mit der Stadt St. Gallen.

Die Bauern lassen viele Burgen des Abtes in Flammen aufgehen. Es beginnt ein Bauernkrieg, der im Gegensatz zur deutschen Geschichte Erfolg hat und in eine freiheitliche Staatsgründung mündet. Der Städtebund am See will vermitteln, schlägt sich aber bald auf die Seite des Abtes. Die Appenzeller bekommen Unterstützung aus Schwyz. Bei Vögelinsegg laufen die unvorsichtigen Städtebündler in einen Hinterhalt und werden von den zahlenmäßig unterlegenen Appenzellern vernichtend geschlagen.

Von nun an hält sich der Städtebund aus den Streitigkeiten heraus, außer der Stadt Konstanz, zu deren Bürgern der Abt von St. Gallen zählt.

Historische Wanderung vom Vögelinsegg zum Stoß. Mit der Trogener Bahn (ab Vorplatz des Hauptbahnhofs St. Gallen) zur Haltestelle Notkersegg, die Hauptstraße Speicher - St. Gallen überqueren, und auf dem Wanderweg südöstlich zum Restaurant "Schwarzer Bär" an der Hauptstraße. Nun liegt vor uns das Schlachtfeld zwischen Rank und Vögelingsegg oberhalb des Bauernhofes. Über Wiesen und Pfade geht es zum Denkmal. - Abstieg in Richtung Steinegg, dann über die Neppenegg zur Hohen Buche hinauf. Abwärts zur Wissegg und hinauf zum Unteren Gäbris. Sträßchen über den Schwäbrig auf den Sommersberg. Zuletzt steil hinab zur Stoß-Kappelle. Gehzeit 4-5 Stunden.

 

BUCHS
am Alpenrhein

Wer sich die Flüchtlingssituation von 1938 und Paul Grüningers Mut vorstellen will, sollte nach Buchs ins St. Galler Rheintal reisen. Man stelle sich den Übergang über den Fluss, die ungewissen Reaktionen aus dem Zollhaus und das Diepoldsauer Flüchtlingslager vor.

1798 rangen die Untertanen der Gegend um ihre Freiheit. Das Werdenberg, wie der Bezirk hieß, gehörte als unfreies Untertanenland zu Glarus, das südlich anschließende Sarganser Land zu Zürich. Die Landvögte sind gefürchtet wegen ihrer Arroganz. Als aus der revolutionären Bewegung Anfang 1798 die Helvetische Republik hervorgeht, verjagen die Werdenberger die Glarner und Zürcher Amtsleute und stellen innerhalb von 14 Tagen 43 Freiheitsbäume auf.

Der 1. Baum ist nur eine Drohgebärde: Ende Februar taucht nachts auf dem Gartenzaun des Landschreiberhauses in Buchs ein Tannenbäumchen auf, zusammen mit einem Drohreim gegen einen ortsbekannten "Aristokraten". Es folgt ein Bäumchen in Grabs vor der Kirche. Als der Landvogt das Schloss Werdenberg verlassen hat, getrauen sich die Leute bei Tag und massenweise: 150 Einwohner von Grabs holen am 9. 3. 1798 die größte Tanne im Wald und stellen sie in einem Volksfest zusammen mit den Leuten von Buchs und Sevelen"aufs Wuhr" vor die Stadt Werdenberg. Das ist der "Landesfreiheitsbaum", dem nach und nach alle kleineren Gemeinden folgen.

In der ganzen Schweiz wachsen in den beiden März-Wochen 7.000 Freiheitsbäume mit passenden Festen aus dem Boden. Die Schweizer wissen ihre Freiheit zu inszenieren.

Gerhard R. Hochuli: Freudentaumel und Freiheitsbäume in Werdenberg, in: Terra Plana, 1/1998, Mels, S. 17-21; Wilfried Ebert: Der frohe Tanz der Gleichheit. Der Freiheitsbaum in der Schweiz 1798 bis 1802, Zürich 1996; Hans Jakob Reich: Wendezeit im Werdenberg, in: Werdenberger Jahrbuch 1998, Buchs 1997.

 

BREGENZ

1406 belagern die Appenzeller die Stadt und liegen am Platz der späteren Seekapelle vor dem Ausfallstor der Maurachgasse. Ein überlegenes Ritterheer zieht durch den unteren Teil der heutigen Gallusgasse beim späteren Kapuzinerkloster heran und besiegt die Belagerer. Diese finden ihr Massengrab bei der Seekapelle. Die Ritter proklamieren in einem Aufruf:

"Wohlauf, lasst uns den Appenzellern nachziehen und Weib und Kind erschlagen, damit weder Aufzucht noch Nachkommenschaft aus ihnen mehr entspringe zum Verderben des Adels!"

Die Kraft des Bauernbundes ob dem See reicht nicht aus, um die skrupellosen Feudalherren in Tirol und Oberschwaben nachhaltig aus dem Land zu jagen.

Haasis: Spuren der Besiegten, I, S. 276-283.

Oberstadt, Marktplatz, am oberen Tor, Eponastraße, Tagungsort der Landstände, altes Rathaus, heute Wohnhaus. Der ständische Vorarlberger Landtag tagte abwechslungsweise in den Rathäusern von Bregenz und Feldkirch. Das alte Bregenzer Rathaus entstand 1662.

Die Stadt und die Landstände stehen im Zentrum der Gemeinderebellion in Vorarlberg von 1691 bis 1727. Der Vorarlberger Landtag berät 1703 über die unruhige Stimmung des Volkes, das Mitwirkung auf Gemeindeebene verlangt.

Die Oppositionspartei im Land nennt sich "der Gemeine Mann" und hält erste rebellische Versammlungen im Montafon, in Bludenz, Rankweil, Dornbirn und Sonnenberg ab. Bei den nächsten Geschworenenwahlen gewinnt im Montafon erstmals "der Gemeine Mann", nicht die Partei der "Ständischen", die konservativen Amtsinhaber.

Das Programm: Recht auf Widerstand bei einer ungerechten Herrschaft; die Landsgemeinde (Versammlung aller grundbesitzenden Männer des Tales) als Grundlage der Verfassung, auch der Landtag hat sich der Kontrolle durch die Gemeindeabgeordneten zu unterziehen; Besteuerung gerecht und nach dem wirklichen Vermögen; auch Adel und Klerus haben Steuern zu zahlen. Treffen der Oppositionsköpfe aus ganz Vorarlberg in der Bregenzer Oberstadt, im "Ochsen".

Im Winter 1704/05 plündern die eigenen österreichischen Truppen das Land aus, der ständische Landtag und die staatliche Verwaltung lassen feige alles geschehen. Die verzweifelten Bauern greifen zum Mittel der Steuerverweigerung. Als Gegenschlag und um die Kriegskosten vom Volk zu erpressen, sperren die Herren den Bregenzer Einnehmer der Weinsteuer ins Gefängnis.

Antwort der Bauern: am 11. 5. 1706 Sternmarsch von 2.000 nach Bregenz hinunter, am 13. Einzug in der Stadt, Missfallenskundgebungen vor den Häusern verhasster Amtsinhaber. Als die Verhandlungen nur zu Verzögerungen führen und die Soldaten nicht ausziehen, nimmt das Bauernheer beide Verhandlungsdelegationen "in Arrest". Am 16. 5. verlassen die letzten Soldaten die Stadt, erst danach zieht auch das Bauernheer ab, ein Bauerndelegierter bleibt zurück, um die Bilanz der Landstände zu prüfen.

1707 will die Regierung das Rad zurückdrehen und setzt auf die Reicheren, die die "ständische Partei" wählen, von der die Vermögenden bei der Steuererhebung geschont werden.

Am 26. 2. 1708 der 2. Sternmarsch nach Bregenz, als eine neue Steuer sogar auf die Ausfuhr (!) von Garn erhoben wird. Erneuter Sieg der Demokraten, die Steuer wird abgeschafft, das neugekommene Militär muss wieder abziehen.

Kapuzinerkloster. Als die bewaffneten Demonstranten im Februar 1708 einmarschieren, kann der Verantwortliche für die Garnsteuer, der Vogteiverwalter Baron Pappus, sich gerade noch ins Kloster flüchten und Asyl beantragen. Er muss die Steuer aufheben und flieht nach Lindau/Bodensee.

Haasis: Spuren der Besiegten, II, S. 493-507; Ders.: Edelweißpiraten, 1966, S. 41-54 (Die Schlotterhosen von Bregenz).

 

 

LINGENAU
im Bregenzer Wald

Hier trifft sich die Partei des "Gemeinen Mannes" ab 1703. Als 1706 beim Steuerstreik der Bregenzer Weinsteuereinnehmer verhaftet wird, beschließen auch die Gemeindegenossen des Hinteren Bregenzer Waldes (Lingenau, Sulzberg, Alberschwende), an einem hohen Feiertag, dem Kreuzmittwoch 12. 5., einen Sternmarsch zu unternehmen und ihren Anhänger zu befreien.

Die Demonstranten zwingen am 11. 5. den Landammann und den Landschreiber zum Mitziehen. Unterwegs nehmen sie ein Dorf nach dem anderen mit und bleiben in Bildstein stehen, 6 km vor den Toren von Bregenz. Um Mitternacht trifft der freigelassene Weinsteuereinnehmer beim Bauernheer ein. Am 12. 5. erfolgt der Weitermarsch bis Rickenbach, um die Zuzüge aus anderen Gegenden aufzunehmen.

Das jetzt 2.000köpfige Heer fordert den sofortigen Abzug des Militärs. Es wird ein Sieg des "Gemeinen Mannes".


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