haasis:wortgeburten

KRUTTHOFER 3

Ein gewisser Krutthofer
Eine deutsch-französische Spionagegeschichte
aus der Zeit um 1800

Aufgedeckt von Hellmut G. Haasis
Sendung 27. 12. 1990 WDR-Feature
digitalisiert 2010 von Heiner Jestrabek

„Schon gegen Ostern 1799 kam ein gewisser Krutthofer nach Ludwigsburg und Stuttgart und zwar nicht bloß, um selbst Erkundigungen über die Gesinnungen des Volks einzuziehen und nach den bekannten Revolutionärs zu sehen, sondern auch, um die Zahl derselben durch die Äußerung der schon bekannten zu vermehren, eine tätige Korrespondenz einzuleiten und sich von der Stärke und Stellung der Österreichischen Armee zu unterrichten.“

Aus dem Dunkel der Revolutionszeit betritt plötzlich um das Jahr 1800, von einem geheimdienstlichen Schlaglicht beleuchtet, ein offensichtlich ebenso gewitzter wie erfahrener Umstürzler die historische Szene. Sein Ziel: Die deutsche Republik.

Krutthofers Lieblingsspruch, aber niemals aus seinem satirischen Hauptwerk
"DER FÜRST DES 19. Jahrhunderts" (St. Petersburg, tatsächlich
Mainz 1799/1800) (Illustration von Hans Ticha zu: Karel Capek:
Der Krieg mit den Molchen (1936, ed. 2000). - Ein herrlicher Illustrator
zu einem unerschöpflich geistreichen Prager Autor., gest. 1938 in Prag,
kurz bevor die Nazis die Stadt überfielen.

„Er kam dann auch mit den meisten der jetzt bekannt gewordenen und inhaftierten Revolutionäre zusammen, bezahlte nach Verhältnis nicht unbedeutende Summen, um sogar Nachrichten aus Euer Herzoglichen Durchlaucht Kabinett zu erhalten. Krutthofer gab gleichfalls eine bedeutende Summe zur Verschickung eines vertrauten Mannes nach Ulm, um die Stellung, Stärke und Absichten der Österreichischen Armee und den Zustand der Festungswerke von Ulm zu erfahren.“

Diese und andere Erkenntnisse über den „gewissen Krutthofer“ verdanken wir der herzoglichwürttembergischen Untersuchungskommission im „Geheimen Stuttgarter Jakobinerprozess“ im Jahre 1800. Des Fürsten Spitzel halten Krutthofer für eine zentrale Figur im süddeutschen „Revolutionsszenario“.

„Dieser Krutthofer, ehemals Architekt in Herzoglich Zweibrückischen Diensten, seitdem in Heidelberg, Heilbronn, in neueren Zeiten aber jenseits des Rheins sich aufhaltend, gehört gleichfalls zu den Häuptern der Gesellschaft, ist namentlich das Haupt der in diese Untersuchung verwickelten Personen, wurde unter dem angenommenen Namen Mauerbrecher schon im Jahr 1796 genannt, steht mit dem berühmten badischen Revolutionär List schon längst in Verbindung und hat sich nun auch seit dem November 1799 mit einem anderen Badener, mit Jägerschmid, näher verbunden.“

Die Spitzel seiner Durchlaucht müssen ihr Objekt nach allen Regeln geheimdienstlicher Kunst „observiert“ haben. Jedenfalls kann man in den Akten der Untersuchungskommission nachlesen, dass seine umstürzlerischen Aktivitäten fast grenzenlos gewesen sein müssen – in dem von Kleinstaaterei geprägten „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“.

Aber Krutthofer lässt sich nicht erwischen.

Er betreibt seine Absichten nicht nur in Schwaben, sondern auch in dem Oberrheinischen, Bayerischen und Fränkischen Kreis. Seine und seiner jenseitigen Anhänger Korrespondenz erstreckt sich bis nach München, Regensburg, Augsburg, Ulm und Nürnberg.

Und doch - trotz der peniblen Überwachung blieb die Identität des „gewissen Krutthofer“ den Zeitgenossen wie den Historikern späterer Zeiten verborgen. Niemand kennt bis heute seine Eltern, seine Geschwister, seinen Geburtstag oder seinen Heimatort. Krutthofers Verschleierungsmethoden sind erfolgreich - bis weit über seinen Tod hinaus.

„Krutthofer führt wie mehrere Mitglieder der Gesellschaft zu um so sicherer Geheimhaltung des Ganzen auch den Namen Mauerbrecher und Companie oder Ballista und Companie. Er schreibt, so wie sich auch Jägerschmid einer Chiffre bedient, an seine Freunde in symbolischen Bildern, lässt die Briefe zum Teil durch Boten spedieren oder auch in die Deckel von Büchern einmachen und hält sich viel im französischen Hauptquartier in der Schweiz auf.“

Historisches Stichwort: „Französisches Hauptquartier“. Nach der „Großen Revolution“ von 1789 hatten sich in Deutschland Gruppen revolutionärer Demokraten gebildet, „Deutsche Jakobiner“, die für eine „deutsche Republik“ kämpften, die aber ohne Hilfe von außen zu schwach waren. Ihre Chance sahen sie in einem Sieg des französischen Militärs über die deutschen Fürsten. Das Machtvakuum wollten sie nutzen, um republikanische Ideen in Deutschland zu verwirklichen. Aber für einen erfolgreichen Umsturz benötigten sie französische Truppen. Und das hatte seinen Preis: Deutsche Demokraten sollten Frankreich schon vorher nachrichtendienstlich unterstützen, aus allen Gegenden Süddeutschlands militärische, politische und wirtschaftliche Informationen beschaffen. Eine zentrale Figur in diesem geheimdienstlichen Netz:

Ein „gewisser Krutthofer“.

So wird er in den Akten der herzoglich-württembergischen Untersuchungskommission genannt. Und als Krutthofer ist er der Geschichtswissenschaft bis heute ein Rätsel geblieben. Ich bin diesem Namen zuerst in einer Arbeit des Ostberliner Historikers Heinrich Scheel über die Süddeutschen Jakobiner begegnet.

Diese fast schon verschüttete revolutionäre Gestalt schlug mich in ihren Bann. Wie ich ein Mosaiksteinchen nach dem anderen im Steinbruch der Geschichte suchte und fand - wie ich daraus das vergessene oder verdrängte Bild eines deutschen Revolutionärs rekonstruierte, will ich jetzt erzählen.

Am Ende soll vor Ihnen eine zentrale Gastalt aus der Zeit der Französischen Revolution stehen, erforscht mit dem Handwerkszeug der historischen Kriminalistik. Mit schriftstellerischer Phantasie hat das nicht viel zu tun. Einen Roman wollte ich nie schreiben. Aber ohne meine historische Phantasie wäre ich nicht vorangekommen. Denn die benötigte ich, um den immer wieder abreißenden Lebensfaden Krutthofers irgendwo wieder aufzunehmen.

Ein weiteres Mal trifft der Historiker auf Krutthofer, den französischen Geheimagenten deutscher Herkunft, beim württembergischen Hochverratsprozess gegen den Hessen-Homburger Regierungsrat Sinclair und die württembergische Landtagsopposition.

In Akten aus dem Jahre 1805 finde ich einen Denunziationsbrief, es sind die Akten eines Geheimprozesses, der beinahe auch den schon deutlich kranken Hölderlin hinter Schloss und Riegel gebracht hätten.

„Als Deutscher und Verehrer Eurer Kurfüstlichen Durchlaucht fühle und erachte ich mich verpflichtet, Höchstdenselben eine sehr wichtige Mitteilung zu machen, die hoffentlich die mörderischen Pläne einiger Schurken zu vereiteln imstande sein wird.“

Der Deutsche und Verehrer kurfürstlicher Durchlaucht und hochlöbliche Herr Denunziant hieß mit bürgerlichem Namen Blankenstein. Sein Beruf:

„Vor einem Jahr trat ich in die Dienste Hessen-Homburgs als Hofkommissär und Lotteriedirektor.“

Der Deutsche namens Blankenstein, Hofkommissär und Lotteriedirektor, trifft fast täglich mit dem Regierungsrat von Sinclair zusammen. Sie werden, schreibt der Denunziant, „vertrauliche Freunde“.

„Schon damals sprach Sinclair von weit aussehenden Entwürfen, von deutscher Republik usw. Ich hatte manchen heftigen Wortwechsel hierüber mit demselben und verlachte seine Hirngespinste, jedoch fing ich an, ihn genau zu beobachten.“

Blankenstein, der Lotteriedirektor, erbost darüber, dass seine Schwindelgeschäfte verhindert worden sind - schwärzt seinen Regierungschef Sinclair beim Kurfürsten an. In seinem Brief entdeckt der moderne Historiker diesen „gewissen Krutthofer“ wieder.

„Ein von mir der kurfürstlichen Regierung überreichter Plan zu einer großen Lotterie diente dem Herrn von Sinclair zum Vorwand; sich in Stuttgart ebenfalls für denselben zu verwenden. Die eigentliche Absicht seiner Reise war aber, sich mit Mitgliedern der Landtagsopposition zu besprechen, eine geheime Verbindung mit einem gewissen Gruthofer in Worms zu stiften und die Fahne der Empörung aufzupflanzen.“

Alle Personen, die der Denunziant Blankenstein erwähnt, kommen in Haft. Nur Krutthofer ist nicht zu fangen.

In den umfangreichen Akten des Stuttgarter Hochverratsprozesses treffe ich Krutthofer ein weiteres Mal an. Die württembergische Regierung beantragte beim französischen Unterpräfekten von Speyer die Auslieferung des Wormser, also französischen Bürgers Krutthofer.

Seit 1798 gehörte das linksrheinische deutsche Gebiet um Mainz als Departement Mont-Tonnerre, zu deutsch Donnersberg, zur französischen Republik.

Der Unterpräfekt winkte ab und verwies auf die Zuständigkeit des Präfekten in Mainz. Doch die Franzosen dachten nicht im Schlaf daran, ihren Geheimdienstler auszuliefern. Was liegt für mich näher, als selbst in Worms nachzuforschen? Im Stadtarchiv stößt meine Idee, ein solch gefährlicher wie bedeutender Mensch habe einmal in den Mauern der alten Reichsstadt gelebt, auf Ablehnung. Undenkbar, dieser Name sei völlig unbekannt.

Endlich finde ich doch noch eine alte Einwohnerliste. Und da ist sein Name aufgeschrieben, der Name des unfassbaren Verschwörers: geboren im rechtsrheinischen Neunkirchen. Das Postleitzahlenverzeichnis weist 15 rechtsrheinische Orte des Namens auf. Diese Spur führt mich also nicht weiter.

Ich verfolge den Hinweis aus den württembergischen Jakobinerakten: Krutthofer sei Architekt im Herzogtum Zweibrücken gewesen. Im Archiv der Stadt weiß eine Personenkartei mehr, die ihre Entstehung ausgerechnet dem Rassenwahn der Nationalsozialisten verdankt.

In der Liste alter Beamten des Herzogtums Zweigbrücken findet sich Neues zu Krutthofer. Der Revolutionär erhält bei mir nun den Vornamen Leonhard, das Geburtsjahr 1752 und den Geburtsort Neunkirchen, Kurpfalz, im Kleinen Odenwald, südlich von Heidelberg.

Als mich eine Urlaubsreise durch Homburg führt, finde ich in den alten Kirchenbüchern die Geburt seiner Kinder und den frühen Tod seiner Frau verzeichnet. Im Laufe der Zeit gewinnt selbst diese familiäre Kleinigkeit an Gewicht. Denn hier habe ich erstmals die Unterschrift des Revolutionärs vor mir: eine zierliche, energische, schön geschwungene Handschrift, fast gemalt, weit kleiner als Unterschriften der Zeit. Und mit Hilfe dieses zweifellos authentischen Schriftzugs kann ich andere Dokumente daraufhin prüfen, ob sie wirklich von dem von mir gesuchten Geheimdienstler stammen.

Als eine noch ergiebigere Quelle erweist sich das pfälzische Landesarchiv in Speyer am Rhein. Hier erschließt sich für mich der berufliche Hintergrund des späteren Revolutionärs.

Im Jahr 1780, mit 28 Jahren, tritt Krutthofer seine erste nachweisbare Arbeit an: als Baumeister an den kurpfälzischen Schlössern von Mannheim und Schwetzingen. Zu bauen gibt es dort kaum mehr etwas. Die wichtigsten Gebäude stehen schon. Krutthofer hat nur noch zu reparieren und zu verwalten. In Schwetzingen lernt er seine Frau kennen und heiratet dort. Sie ist evangelisch-reformiert, er katholisch.

Nach fünf Jahren tritt Krutthofer in Zweibrücker Dienste über. Das kleine Herzogtum galt damals, wenige Jahre vor der Großen Revolution, als Hochburg der franzosischen Aufklärung in Deutschland. Voltaire durfte sich der Zweibrücker Zeitung als seiner Hauspostille bedienen.

Der Herzog wollte auf der Höhe der Zeit, auf der Höhe der philosophisch und kulturell tonangebenden Nation Europas stehen. Sichtbares Monument seiner aufklärerischen Gesinnung und zugleich seines Größenwahns ist ein gigantisches Schloss auf dem Karlsberg bei Homburg, das der Herzog dieses winzigen und bedeutungslosen Ländchens erbauen ließ.

Den Karlsberg bewunderten gebildete Zeitgenossen als Märchenschloss, die fron- und zahlungspflichtigen Bauern verfluchten ihn und seinen Bauherrn. Der herzogliche Baumeister Krutthofer nahm auf dem Karlsberg von Anfang an eine unsichere Stellung ein. Er wohnte, wie die Dienerschaft, neben dem Schloss, aber er wurde nicht auf der staatlichen Gehaltsliste geführt, sondern aus der Privatschatulle des Herzogs entlohnt. Ein deutliches Anzeichen für eine prekäre Existenz, die Außenseiter produziert.

Gleich zu Beginn bekam Krutthofer die Willkür seines launischen Herrschers zu spüren: Im ersten halben Jahr erhielt er überhaupt kein Gehalt. Später, als die Revolution das Herzogtum hinwegfegen, das Märchenschloss zerstören und der Nachfolger des Herzogs den bayerischen Königsthron besteigen sollte, wird Krutthofer einen schier endlosen Kampf um das ihm vorenthaltene Geld beginnen. 25 Jahre lang ließ er den bayerischen Königshof deswegen nicht in Ruhe. Und nach und nach erhielt der Betrogene etwas von seinem ausstehenden Lohn.

Bei der Lektüre der in Speyer aufbewahrten Akten entsteht in meinem Kopf das Bild eines nicht ganz typischen Untertanenlebens. Leicht gehobener Mittelstand in einer damals deutschen Kleinstadt kurz vor der Französischen Revolution.

Krutthofer, ein am modernsten Stil, dem Klassizismus, ausgebildeter Architekt, bleibt an einer zweitrangigen Stellung hängen. Er verwaltet das Baumagazin. Für größere Aufgaben kommt er zu spät, das Riesenschloss im Versailler Stil steht schon fertig da. Er muss andere Gebäude des Herzogs reparieren lassen: hier mal einen Ofen setzen, dort ein Fenster ausbessern, ein Treppengeländer erneuern, einen Kronleuchter beschaffen. Keine berauschenden Aufgaben für einen tatkräftigen, ästhetisch-avantgardistischen jungen Mann.

Im Lauf der Jahre erwirbt Krutthofer das Vertrauen seines Herrn. Für des Herzogs große Feste darf er auserlesene Leckerbissen, für die Inneneinrichtungen des Schlosses die teuersten Möbel aus England, für ein Riesenfeuerwerk das nötige Explosionsmaterial besorgen.

Aber der einflusslose Baumeister muss oft genug alles aus seinem kleinen Geldbeutel vorstrecken und nachher lange um die Kostenerstattung kämpfen. Das scheint langfristig an der Loyalität gegenüber dem Fürsten zu nagen.

In der Revolutionszeit geht das Fürstentum Zweigbrücken unter. Radikalisierte französische Revolutionstruppen, wutentbrannte, Fürsten hassende Sansculotten aus den Kellern von Paris, stecken im Sommer 1793 das Schloss Karlsberg kurzerhand in Brand.

Danach schleppen die Bauern der Gegend weg, was von den Gebäuden noch zu gebrauchen war. Der Herzog und sein höheres Personal, darunter Krutthofer, sind längst über den Rhein geflohen.

Zwei Monate später kommt der einstige Verwalter des Baumagazins für wenige Tage über den Rhein zurück, um den Schaden aufzunehmen: in riesigen, fein säuberlich geführten Listen.

Krutthofer steht vor einer irreparablen Ruine, vor dem Milliardengrab der Zweibrücker Untertanen. Mit der Zerschlagung des Herzogtums Zweibrücken reißt Krutthofers Bindung an den Hof, der nun bei Heidelberg im Exil residiert. Krutthofer wird entlassen.

Damit versiegen die Quellen im Archiv von Speyer. Die Akten vermerken zuletzt noch die Anfrage der Stuttgarter Behörden an die Zweibrücker Exilregierung - man schreibt das Jahr 1800 - ob der nun als Revolutionär verdächtigte Baumeister in Zweigbrücken irgendwie aufgefallen sei?

Die einstigen Vorgesetzten entsinnen sich jetzt, sieben Jahre danach, nur noch an eine für sie unangenehme Charaktereigenschaft: Krutthofer habe einen gewissen Hang zum „Eigendünkel“ an den Tag gelegt. Wenn man hier die traditionelle Abneigung von autoritären Vorgesetzten gegenüber denkenden, kritischen Untergebenen abzieht, kommt wohl schon der rebellische Keim früherer Jahre in den Blick.

Offenbar katzbuckelte Krutthofer nicht genug, war den Oberen zu selbstbewusst erscheint. Von revolutionären Äußerungen wissen die Zweibrücker Regierungsbeamten nichts.

So erhält mein bisheriges Bild vom mausgrauen Leben eines hoch qualifizierten, unzufriedenen Untertanen allmählich Farbe, von revolutionären Tönen ist freilich nichts zu bemerken. Also mache ich mich daran, die Aktenberge der beiden Stuttgarter Geheimprozesse von 1800 und 1805 erneut zu wälzen.

Die Mühe lohnt sich. Neben endlosen Protokollen von Verhören finde ich den konspirativen Brief eines nicht genannten badischen Revolutionärs an Krutthofer. Der Brief dürfte von Jägerschmid stammen, einer zentralen Gestalt der Verschwörer in Baden.

Die Österreichische Geheimpolizei überwachte damals in ganz Süddeutschland den überregionalen Briefverkehr. Und zwar an den zentralen Polizeistationen mittels so genannter „schwarzer Kabinette“, die das auch damals schon geltende Briefgeheimnis brachen. Ein übliches geheimdienstliches Verfahren in den großen europäischen Staaten.

Ein damit beauftragter Postler oder auch ein Polizist öffnet die Briefe insgeheim, schreibt wichtige Stellen ab und verschließt die Umschläge wieder. Die Abschriften gehen nach Wien, in die Hauptstadt des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“. Dort dürfte auch das Original dieses Briefes liegen, der an Krutthofers Tarnanschrift gerichtet ist.

„An Mauerbrecher, Mannheim
Lieber, unbekannter Freund!
Auf Ihre ( ... ) Versicherung, dass meine Bemühungen und Dienstleistungen zu gleicher Zeit auch die Befreiung unseres gedrückten und unglücklichen Vaterlands mit befördern werden, habe ich mich, unbeachtet früherer Entschließungen, nichts mehr mit den Franzosen zu schaffen haben zu wollen, entschlossen, General Mangins Aufforderung zu entsprechen. Ich habe ihm aber ganz deutlich geschrieben, dass es bloß in dieser Rücksicht geschehe, und wenn er mir nicht die Versicherung verschaffen könne, dann soll er auf mich nicht mehr zählen.

Ich habe ihm auch zu gleicher Zeit geschrieben, wie oft und vielmal ich schon von ihnen betrogen worden sei und wie sehr ich ihre begangene Aufführung verabscheue, ich habe ihm auch detailliert und bewiesen, dass sie, ohngeachtet aller Bemühungen, ohne eine deutsche Revolution verloren seien, und wirklich sehe ich auch die Sache so an.

Lassen sie Deutschland in den Händen der großen und kleinen Despoten, dann bleibt dieses immer ein Mittel in den Händen, sie ewig zu bekriegen, und die Erfahrung lehrt sie, welchen Wert sie auf Könige und Fürstenfrieden setzen können. Es muss ja diesen wegen ihrer eigenen Existenz ihr unveränderlicher Plan sein und bleiben, eine jede Regierungsform, die auf Grundsätzen beruht, zu vernichten trachten, und man muss Franzose sein, um es nicht einzusehen.

Beehren Sie mich wieder mit einer Antwort, die mich allemal freuen wird.

Gruß und Bruderliebe.“

Dieser Brief dokumentiert für mich, wie eng Krutthofers Verbindung zu Frankreich war, wie groß das Vertrauen des Schreibers zu Krutthofer und wie tief die Krise zwischen den deutschen Revolutionären und dem französischen Militär waren.

Schon im Herbst 1789 hatten sich in vielen Gegenden des territorial zersplitterten Reiches soziale Protestbewegungen geregt. Frondienste, Feudalabgaben, Leibeigenschaften bedrückten die Bauern unterschiedlich in den einzelnen Herrschaften. Auch in den Städten gärte es, politische Forderungen wurden laut.

Aber die Unruhen waren regional begrenzt geblieben und brachen auch deshalb in sich zusammen. Drei Jahre später gewann die Protestbewegung jedoch wieder Schwung. Die französischen Revolutionsheere vertrieben die Interventionstruppen der Feudalmächte und Überschritten den Rhein. Die Bewegungen politisieren sich. In Mainz wird die erste deutsche Republik ausgerufen, die freilich mit dem Rückzug der Franzosen wieder untergeht.

Während dieser so genannten Revolutionskriege mit ihren wechselnden Frontverläufen machen die deutschen Revolutionäre mehrmals die Erfahrung, dass die Franzosen in schwierigen militärischen Situationen mit Versprechungen die Demokraten im Reich zur Hilfe animierten.

Als Lohn versprachen sie bewaffnete Unterstützung für eine deutsche Revolution. Aber dreimal, 1796, 1798 und 1799, weigerten sich die Franzosen nach ihren Siegen in Süddeutschland, ihre Versprechen auch zu halten. Als die deutschen Republikaner sich im französischen Hauptquartier beschwerten, antwortet ihnen ein General zynisch:

„Im Rücken einer siegreichen Armee duldet man keine Revolution.“

Krutthofer hatte 1799 die letzte, vielleicht die größte Chance seines Lebens, auf eine deutsche Republik hinzuarbeiten. Die Quellen zeigen, dass er damals schon im Geheimdienst der französischen Rheinarmee angestellt war. Er arbeitete doppelbödig, man könnte auch sagen, mit zwei Gesichtern.

Das eine Gesicht, den Franzosen zugewandt, diente dem Interesse des französischen Militärs. Dafür organisierte Krutthofer die Spionage im deutschen Süden.

Das andere Gesicht, auch den Franzosen verborgen, orientierte sich auf eine deutsche Revolution hin. Die Spionagetätigkeit deutscher Demokraten in Frankreichs Diensten sollte letztlich in eine deutsche Revolution münden, in einen deutschen Freistaat. Um lokale Gruppen für einen Aufstand aufzubauen, schickte Krutthofer Geheimboten durch’s Land, die für seine Revolutionspläne warben, die die Demokraten miteinander in Verbindung brachten und den Franzosen Spionagematerial beschafften.

Krutthofers Plan, uns aus den Stuttgarter Verhören in Bruchstücken bekannt, verrät Format und politisches Fingerspitzengefühl.

Sein Plan garantiert den Erhalt des geistlichen Berufstandes; er verspricht
- Geistlichkeit und Adel für den Verlust ihrer Güter zu entschädigen;
- das Land an Arme zu verteilen;
- ein neues Parlament zu bilden;
- das Wahlrecht auszuweiten;
- das Schulwesen zu verbessern;
- die Zahl der Beamten zu senken;
- eine „Nationalgarde“ an die Stelle der alten Fürstentruppen zu setzen.

Die Stuttgarter Prozesse, vor allein der von 1800, entführen mich in das Labyrinth geheimdienstlicher Aktivitäten. Ich suche das damalige Handwerkszeug dieses verschwiegenen Gewerbes kennen zu lernen. Dazu gehört eine Geheimtinte, die beim Schreiben unsichtbar bleibt, aber beim Erwärmen des Briefes über einer Hitzequelle wieder sichtbar wird. So lassen sich zwischen die Zeilen eines unbestreitbar harmlosen Briefes wichtigste Mitteilungen verstecken.

Die mitlesende Geheimpolizei hat keine großen Chancen, denn sie kann nicht jeden aufgebrochenen Brief umständlich erwärmen. Dagegen erwies sich im geheimdienstlichen Alltag als unpraktisch, Briefinhalte mit Ziffern zu verschlüsseln. Denn ein komplizierter Zahlenschlüssel für das ganze Alphabet taugt nicht für den Briefverkehr von Amateurspionen. Und ein einfaches System ist von Fachleuten leicht zu knacken. Zudem zeigt nur ein Blick auf einen ganz in Zahlen gehaltenen Brief, dass hier Geheimnisse begraben sind.

Für die Korrespondenz mit den einzelnen deutschen Revolutionären empfiehlt sich eine „Wortchiffre“. Zentrale Begriffe und Namen werden durch harmlos klingende Worte ersetzt. In den Stuttgarter Akten finde ich einen solchen Brief Krutthofers, gerichtet an den Plochinger Posthalter Eschenmaier, einen wichtigen Verbindungsmann des revolutionären Netzes in Württemberg.

Keiner konnte besser als dieser Posthalter die gefährlichen Briefe an der Geheimpolizei vorbeischleusen. - Dieser intelligente Mann brachte es übrigens später noch zum Professor für Nationalökonomie. –

Der Agentenbrief tarnt sich in der Kaufmannssprache. Mit „Bilanzen“ meint Krutthofer die Stärke des österreichischen Militärs, mit „Stück Leinwand“ die Anzahl der Soldaten.

„Ich berühre den Rückstand unseres Freundes in Plochingen. Schreiben Sie demnach auf der Stelle an beide, und ermahnen Sie solche ernsthaft, die versprochenen Bilanzen einzusenden. Erinnern Sie denselben, dass ich nötig habe zu wissen, wie viel Stück Leinwand auf der Bleiche zu Balingen und Tuttlingen allenfalls noch sein mögen. Überhaupt wünsche ich eine genaue Aufstellung all unsrer Waren zu haben, die bis zum Frieden dort auf der ...“

Hier befindet sich im Brief eine Lücke.

„... Ihnen an die verschiedenen Freunde ist in Verwahrung gegeben worden. Um allen Missverstand zu vermeiden, bitten Sie dieselben, die Nummern und sonstigen kaufmännischen Zeichen der Vorschläg genau anzumerken. Ich erinnere dies, weil mir Ihr letztes Schreiben nicht hinlänglich ist, um mit dem Übrigen zu saldieren.“

Im Januar 1800 erbrachen die Österreicher die richtigen Briefe, die Revolutionsgruppe flog auf. 19 Demokraten wurden verdächtigt, nicht alle konnten gefasst werden. Aber in Württemberg war das Netz zerrissen. Damit verschwindet Krutthofer von der Oberfläche der bisher erforschten Geschichte.

Da die Stuttgarter Quellen versiegen, suche ich eine neue in seinem Geburtsort Neunkirchen. Von dort weist eine Lebensspur ins nahe Heidelberg. Der Vater, ein Forstrat, bringt es dort später zum Administrationsrat. In der Kettengasse kauft er ein ansehnliches Haus. Dort lebt die Familie noch während der Revolutionszeit, in der Kettengasse Nr. 19.

Das heutige Aussehen dieses Hauses blendet fast. Das Gebäude ist in einen glänzenden Zustand. Der Grund: Hier pflegt die Universitätsstadt Heidelberg ihre Partnerschaft mit der französischen Universitätsstadt Montpellier.

Was für eine Ironie der Geschichte: Das Wohnhaus eines deutsch-französischen Geheimdienstlers als ein öffentlicher Ort für recht harmlose deutsch-französische Begegnungen.

Im Universitätsarchiv entdecke ich: Krutthofer ließ sich hier 1767 als Jurastudent immatrikulieren, mit 15 Jahren also, sehr jung, aber damals kein Einzelfall. Seine Exmatrikulation ist nicht zu finden. An keiner anderen Universität habe ich bisher den Namen des Heidelberger Jurastudenten wieder angetroffen. Bis zum Antritt seines Dienstes im Jahr 1780 als Baumeister in Mannheim und Schwetzingen klafft eine Wissenslücke von mindestens zehn Jahren. Bis jetzt konnte ich sie nicht schließen.

Schon die Stuttgarter Regierung wusste, dass Krutthofer zeitweise auch in Heilbronn lebte. Dort hatte er zwei hübsche klassizistische Häuser gebaut. Beide gingen im Bombeninferno des Jahres 1944 unter. Vom Gasthaus „Zur Sonne“, dem „ersten Haus am Platze“ existiert wenigstens noch ein Stich.

Goethe stieg bald nach der Fertigstellung hier ab. Erstaunt über den guten Geschmack des Architekten, erkundigt er sich nach ihm und erfährt, der Baumeister habe in Paris studiert.

Aha, wir haben’s, durchzuckt es mich. Krutthofer in Paris, frühe Verbindungen in die spätere Metropole der Revolution. Aber in Paris lässt sich sein Name unter den Studenten der Architektur nicht feststellen. Oder ist er in Rom gewesen? oder sonstwo? Bis heute gelang mir kein Nachweis.

Für längere Zeit bleibe ich auf der Architekturspur, kehre wieder zurück ins Herzogtum Zweigbrücken. Als Leiter des Baumagazins hat Krutthofer in allen herzoglichen Gebäuden Reparaturen zu veranlassen. Außer einem kleinen Hof in den Wäldern des pfälzisch-lothringischen Grenzgebiets ist nichts stehen geblieben, was auch nur entfernt mit dem radikalen Baumeister zu tun gehabt hätte.

Die Revolutionstruppen steckten in Brand, was sie an herzoglichen Wohnsitzen fanden. Alle meine Versuche, irgendwo sonst einen noch stehenden Bau Krutthofers nachzuweisen, scheiterten bisher.

Einie Ausnahme bildet ein Notariatsakt. Danach beauftragte der ehemalige elsässische Revolutionsgeneral Frühinsholz Krutthofer damit, Umbauten in seinem Gutshof vorzunehmen. Der Auftrag bezieht sich aber nur - auf die Stallungen.

Bezeichnend für Krutthofers Abstieg in einer langen Wirtschaftskrise, die Architekten kaum braucht.

Eine Vermutung führt mich nach Bayern. Im Kriegsarchiv des Hauptstaatsarchivs in München existiert noch ein Exemplar des bayerischen Militärhandbuches. In der napoleonischen Zeit, als Bayern zum französisch dominierten Rheinbund gehörte, nahm sich das bayerische Militär die Organisation der erfolgreichen Armee Napoleons zum Vorbild. Im Handbuch findet sich ein für den militärischen Geheimdienst aufschlussreiches Kapitel mit der Überschrift:

„Das geheime Wesen

1. Es wird eine zureichende Anzahl von Spionen erfordert, um stets mehrere Über Feld zu haben. Ihre Wahl ist schwer: denn, damit man ihnen trauen könne, müssen ihre Gesinnungen bekannt sein, und sie dürfen nichts voneinander wissen, damit sie ihre Antworten nicht zu verabreden vermögen.

2. Sehr gut ist es, wenn man Missvergnügte von der Gegenpartei haben kann; alsdann ist alles anzuwenden, um sie zu gewinnen.

3. Alles, was man ihnen verspricht, muss gehalten werden. Ehrgeizige gewinnt man durch schmeichelhafte Versprechungen, Geldgierige durch Bezahlung. Als Unterpfand ihrer Treue kann man die Familie oder die Güter, welche sie besitzen, in Beschlag nehmen. Man muss ihre schwache Seite ausforschen und benutzen.

4. Der Hauptzweck, weicher durch die Spione zu erreichen gesucht wird, ist, den Feind in allem, was er zu wissen strebet, zu hintergehen, und alles, was er zu verbergen sucht, zu entdecken.“

Der Nachrichtendienst war dem Generalstab zugeordnet, er machte die vierte von fünf Abteilungen aus. Verantwortlicher Chef war der Generalquartiermeister. Als operative Chefs pflegte man Zivilisten einzusetzen, die sich in der zu erforschenden Gegend und den Bewohnern besser auskannten und deren Sprache beherrschten.

Später finde ich heraus, dass Krutthofer 1800 und in den folgenden Jahren Sekretär des französischen General Moreau in Mainz war. Damit kann er als der zivile Geheimdienstchef in der französischen Rheinarmee angesehen werden.

Mit Krutthofer hatten die Franzosen keinen bequemen Verbündeten. Er war Agent aus Überzeugung, kaum aus Geldinteressen. Er war also nicht käuflich, er musste eher mit einer Unterstützung seiner revolutionären Gesinnung belohnt werden.

Nun erst fallen mir Krutthofers Tarnnamen für das Spionagewesen auf: Mauerbrecher und Ballista. Ihre Entschlüsselung bietet mir einen Einblick in das Innere des verschwiegenen revolutionären Republikaners.

Mauerbrecher ist wörtlich zu nehmen und bezeichnet im 16. Jahrhundert ein Belagerungsgeschütz, Ballista ist im Altertum ein Geschütz zum Schleudern von Steinen.

Die Tarnnamen verbergen ein revolutionäres Programm, freilich so, dass Eingeweihte darin die Marschrichtung erkennen. Wer unter diesen donnernden Namen im Untergrund des feudalen Deutschlands operiert, will die Feudalzustände in Grund und Boden schießen, von außen, mit militärischer Gewalt.

Nach langem Suchen stoße ich auf ein großes theoretisches Werk, das mit Krutthofers Namen verbunden ist.

Unter dem Titel „Der Fürst des 19. Jahrhunderts“ publizierte Krutthofer 1799 und 1800 anonym drei Bände über die Kunst des Regierens. Der Untertitel. „System der Staatskunst unserer Zeit“. Zur Verspottung der Reaktion nennt er ausgerechnet das zaristische St. Petersburg als Verlagsort. Der Spott eines Satirikers.

Eine Umfrage in allen deutschsprachigen Bibliotheken Mitteleuropas zeigt, dass ich hier auf eine Rarität gestoßen bin. Heute existieren nur noch drei vollständige Exemplare. Eines verwahrt ausgerechnet die Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

In der deutschen Jakobinerforschung ist dieses großartige Werk unbeachtet geblieben. Wenn man nicht den Schlüssel zum Autor und seinem rätselhaften Leben in Händen hält, bleibt es einem auf weiten Strecken verschlossen.

Auf 864 Seiten gibt der Geheimdienstier, der sich nahe vor einer deutschen Revolution sehnt, den Fürsten ironisch Ratschläge, wie sie künftig, im Zeitalter der heraufziehenden Demokratie, mit ihren selbstbewusster werdenden Untertanen umgehen sollten.

„Das Volk muss überhaupt seine Puppen haben, die es pflegt, putzt, aus- und ankleidet; diese darf ihm nicht ausgehen. Je mehr es deren hat, desto besser. Es ist bekannt, dass Augustus das Restchen republikanischen Geistes seiner Zeit durch Schauspiele und bildende Künste in monarchischem Sinn umwandelte und Luxus und Liebe zur Ruhe, dies erste Erfordernis der Bürger im monarchischen Staate, erkünstelte, und es stand kein Brutus mehr auf.

Das Volk, das keine andern Wünsche hat als Brot und Spiele, ist ganz für Monarchien gemacht. Ohne das muss es durch irgendein Vergnügen für seine Lasten entschädigt werden; eine Tierhetze, Stiergefecht, Kasperl etc., bei dem sich der von der Woche lastmatte Arbeiter am Sonntage freue und es die Unterhaltung seiner Feierstunden werde, wie sein Liebling, der gefleckte Tiger, den Auer zerfleischte etc.

Diese Feten selbst müssen dem Zwecke adäquat sein; das heißt, sie müssen Passivität predigen und Stupidität atmen, z.B. Öffentliche Verbrennungen von Ketzern, Ritterschauspiele, Stücke, wo Teufel den versagten Zehnten rügen, gestrafte Revolutionäre mit entsprechendem Apparate und Kostüme, das die Aufrührer verächtlich macht, und endlich die Hauptsache von allem, der ehrwürdige Hanswurst, dessen Moral allgemein verständlich ist.“

Der überall in Süddeutschland operierende Geheimdienstler tarnt sich als Anwalt seiner Gegner. Ein Kostümwechsel, so recht würdig den Verstellungskünsten eines phantasievollen Untergrundkämpfers.

„So kann man dahin kommen, dass das Volk viel spricht und wenig denkt, dass es luxuriös und arm in den Tag hinein lebt, dass es am Morgen kein höheres Bedürfnis hat, als wie es am Mittag essen und am Abend sich amüsieren wolle, dass es von Vergnügen zu Vergnügen hüpft und für nichts Sinn hat als das Vergnügen, dass es instinktmäßig nach angewöhnten Formeln handelt, dass es nichts schrecklicher findet als eine Veränderung der Dinge, bei der es um seine Vergnügungen kommen kann und die lästige Arbeit zu denken selbst Übernehmen müsse, dass es das Denken lästig findet, dass es gerne gafft und schnell vergisst und in seinem Zustande den höchsten Grad von Behaglichkeit und Glück sieht. Die Regierung hat, wenn sie es einmal so weit gebracht hat, nichts zu tun, als wie weiland ein französischer Regierungschef zu fragen:

„Singt man noch in Paris, und lacht und tanzt man dort noch fleißig?“

Sie kann mit ihm sagen: „Lasst sie singen, wir handeln.“

Wer gerne lacht, ist nie gefährlich; aber ein schrecklicher Mensch ist der, der nie lacht und nie weint, weil man voraussetzen kann, dass seine Seele stärker ist als Freude und Schmerz, und dies ist kein Mann für Monarchien; er fürchtet den Tod nicht mit allen Schrecknissen, und die ganze Nacht erschöpft sich umsonst in ihren Schrecknissen, sie gewinnt ihm keine Spanne ab.

Menschen, denen das Leben über alles teuer ist und die kein größeres Übel kennen als Tod und Schmerz, sind die eigentlichen Menschen für Monarchien. - Wenn man so weit ist, dass die Nation bloß in Genüssen lebt und ihr Geist erstorben ist, dann gedeiht kein Brutus mehr.

Gefällige und menschenfreundliche Menschen, mit dem Herzen voll warmer Liebe gegen ihre Mitgeschöpfe, sind immer die gefährlichsten Staatsbürger. Leicht schmelzen sie in Mitgefühl bei fremden Leiden, fühlen die Last der gedrückten Brüder mit; leicht wurzelt in ihnen Gemeingeist, und bei ein klein wenig Resignation wollen sie in stolzer Schwärmerei Märtyrer für die Menschheit werden.“

Über das Jahr 1804 hinaus lässt sich bei der Sucher nach Krutthofer zunächst keine Spuren verfolgen. Vielleicht kein Zufall.

1804 machte sich der Erste Konsul Frankreichs, der Korse Napoleon Bonaparte, daran, die innerlich schon lange ausgehöhlte Republik durch das Kaiserreich von eigenen Gnaden zu ersetzen. 1805 rief Napoleon zum Plebiszit über das Kaiserreich auf. Die meisten Nein-Stimmen erhielt er in den deutschsprachigen Departements Ostfrankreichs.

In Landau stimmte sogar die Mehrheit für die Republik. Mit der Errichtung des französischen Kaiserreichs verloren die deutschen Jakobiner jede Hoffnung auf eine Befreiung Deutschlands von den Feudalherrschern. Fast alle dieser frühen Demokraten versanken in Resignation - und verstummten.

Was bleibt mir da noch zu forschen? Mehr aus Trotz suche ich in Kirchenbüchern weiter. In Worms lassen sich Krutthofers Kinder nicht nachweisen. Doch in Heidelberg, dem Wohnsitz der Familie, sind die Vermählungen von Krutthofers Töchtern vermerkt.

So bin ich eines Tages wie elektrisiert, als ich in einem Kirchenbuch lese: 1818 erklärte eine Tochter dem Pfarrer, ihr Vater sei tot. Vier Jahre später diktierte dieselbe Tochter bei ihrer zweiten Heirat dem Pfarrer in die Feder, ihr Vater sei als Baumeister in Russland gestorben.

Ich hoffe, eine entscheidende Spur aufgedeckt zu haben. So befrage ich die Literatur zur Architektur Russlands, beschäftige mich mit der Städteentwicklung in Russland nach 1800. Mehrere große Archive der Sowjetunion werden angeschrieben. Heinrich Scheel, der große deutsche Jakobinerforscher und damals Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Ost, vermittelt meine Anfrage einem sowjetischen Spezialisten.

Niemand weiß etwas. Endlich treffe ich in einem Stuttgarter Altersheim einen Russlandforscher. Sein Leben lang widmete er sich der deutschen Auswanderung ins Zarenreich. Seine Kartei mit über 250.000 Zetteln verzeichnet eine unglaublich große Menge von Namen. Doch Krutthofer ist nicht darunter.

Die russische Spur wird immer rätselhafter. Meine Phantasie gaukelt mir viele Möglichkeiten vor. Ging der geschlagene demokratische Geheimdienstier mit einem Tarnnamen nach Russland, um gegen das Zarenreich zu spionieren? Oder lief er, aus Enttäuschung, zur Gegenseite über? Oder ließ er alle politischen Ambitionen fahren und ging nur noch seinem Broterwerb nach? An den Angaben der Tochter zu zweifeln, kommt mir lange nicht in den Sinn.

Vielleicht kam Krutthofer nach 1804 im napoleonisch beherrschten Teil Deutschlands unter? Vielleicht im Königreich Westfalen, das nach dem Vorbild Napoleons eine große Geheimpolizei aufbaute? Oder im napoleonischen Hamburg? Aber nirgends finde ich eine Spur.

Als ich schon alle Hoffnung aufgegeben habe, trifft mich ein Schlag aus Düsseldorf.

Im Hauptstaatsarchiv Nordrhein-Westfalens existiert eine schmale Akte über das gegnerische Spionagewesen. Im Frühjahr des Jahres 1815, als der geschlagene Napoleon aus seinem Verbannungsort Elba zum siegreichen Zug nach Paris unterwegs war, suchte das preußische Polizeiministerium fieberhaft nach Napoleons potentiellen Spionen. Die Preußen stellten verschiedene Listen aller ihnen bekannt gewordenen einstigen französischen Spione zusammen. Zweimal taucht Krutthofer darin auf, wenn auch falsch geschrieben.

„Gruthofer, angeblicher Kaufmann“.
Oder umfangreicher: „Gruthof, aus oder bei Heidelberg gebürtig, war Chef der Spionage, kaufte nach dem letzten Feldzug unter General Moreau im Jahr 1800 ein Landgut bei Speyer, diente aber 1805 und 1807 wieder unter dem französischen General Davout.“

Nur die zweite Liste stellt Krutthofer in der Einschätzung der Gefährlichkeit weit nach vorne. Die Gegend, in der er geboren wurde, ist nicht schlecht getroffen, der Einsatz unter den Generalen Moreau und Davout, auch die Zahl der Dienstjahre stimmen. Agenten von der Art Krutthofers dienten nur während eines Feldzugs im Generalstab, danach wurden sie entlassen oder arbeiteten woanders.

Mir scheint, dass es hier den siegreichen Preußen und ihrer Geheimpolizei gelungen ist, einen Einbruch in die Reihen des militärischen französischen Geheimdienstes zu erzielen. Wir haben hier keine schlechte Kurzbiographie Krutthofers vor uns.

Aber der Verdacht der gegnerischen Geheimpolizei beweist noch lange nichts über Krutthofers Tätigkeit, belegt erst recht nicht, dass er – im Jahr 1815 - überhaupt noch lebte. Es wäre nicht das erste und letzte Mal, dass die Polizei nach einem Toten fahndet.

Der Düsseldorfer Fund veranlasst mich, die publizierte Korrespondenz von Davout, einem der erfolgreichsten Generale Napoleons, durchzusehen. Da ein Namensregister fehlt, finde ich wochenlang nichts.

Endlich gibt mir ein Brief aus dem Jahr 1806 einen neuen Anstoß. General Davout empfiehlt Napoleons Generalstabschef einen Deutschen als erfahrenen, gewandten Geheimdienstler. Aus Vorsicht verschweigt Davout den Namen, den er gleichzeitig in einer chiffrierten Sonderpost schickt. Die habe ich bisher freilich nicht gefunden. Sie könnte im Privatnachlass auf dem Schloss von Davouts Nachkommen schlummern, unter einem Berg schwer leserlicher Militärschreiben.

Trotz der Lobeshymne von Napoleons härtestem General ist Krutthofer im Geheimdienst des französischen Militärs offenbar nicht weiter aufgestiegen. Warum? Er war kein Franzose, sondern Deutscher und arbeitete für eine Umgestaltung seines Landes. Er war kein Militär, sondern Zivilist; nicht einmal Techniker, sondern Architekt. Er war, wenigstens damals noch, Demokrat, kein Monarchist.

In Paris, im französischen Nationalarchiv, finde ich Geheimberichte Krutthofers aus dem Jahre 1808. Und zwar in den Akten Fouches, des emsigen und windigen Polizeiministers. Krutthofer schreibt aus München. Dort beobachtet er die üblichen Intrigen am bayerischen Königshof.

Er hatte Kontakt zu einem deutsch-französischen Geheimagenten namens Lorenz Geis. Dieser Geis wurde als nicht zuverlässig über den Rhein nach Straßburg befohlen, wo man ihn unter Polizeiaufsicht stellte. Er hatte sich ständig bei Charles Popp zu melden, dem Chef der Straßburger Geheimpolizei. Eines Tages brachte der überwachte Agent Geis einen Brief mit, der von zittriger Hand in deutscher Kurrentschrift die Adresse trug:

„An Herrn Böhm, Sattlermeister in Küfergasse No. 18, in Straßburg am Rhein.““

Geis gab zu Protokoll, der inliegende Brief sei an ihn gerichtet gewesen. Außen stehe nur eine Deckadresse. Der Brief stamme von Krutthofer in München, sei mit Geheimtinte geschrieben, die über der Kohlenglut wieder lesbar geworden war.

Dann gab Geis sein Urteil über Krutthofer ab: Dieser sei „ein wenig ein exaltierter Mensch, aber der französischen Regierung gut gesonnen und sehr intelligent.“

Als ich die Kopien vom französischen Nationalarchiv in Händen hielt, konnte ich nur Zeichnungen von Sattelzeug gut erkennen. Über diese Tarnzeichnungen mit Bleistift hatte Krutthofer mit Geheimtinte geschrieben. Diesen und andere Texte konnte ich erst entziffern, als ich in Paris die Originale mit den schlecht geratenen Kopien verglich: „Neuigkeiten aus München und vom bayerischen Königshof.“

Misstrauen erregte Krutthofer freilich beim Straßburger Geheimpolizeichef, als er den Grafen Arco, den vermeintlichen Chef der bayerischen Geheimpolizei, als Gegner Frankreichs denunzierte und überhaupt dem bayerischen Adel eine antifranzösische Verschwörung vorwarf.

„Arco ist zum Polizeiminister ernannt, Vefeld zum Direktor vorgeschlagen worden. Sie kennen die Moral des ersten und die Tugenden des andern. Also darf man keinen Augenblick verlieren, um ihnen zuvorzukommen. Arco, ein Tiroler Graf, ist der Feind der Franzosen, tun Sie das Möglichste, um seine Absicht zum Scheitern zu bringen.“

Als Charles Popp, Chef der Straßburger Geheimpolizei, drei solcher Agentenbriefe Krutthofers gelesen hatte, wurde es ihm zu bunt. Popp selbst hatte in der elsässischen Metropole 1793 eine unliebsame Erfahrung mit revolutionärem Misstrauen gemacht.

Der deutsche Revolutionär Eulogius Schneider, Professor der griechischen Literatur und der schönen Künste in Bonn, hatte den gemäßigten Demokraten Popp hinter Schloss und Riegel bringen lassen. Die Jakobinerzeit blieb für Popp ein Trauma. In diesem Geist fügte Popp einem Bericht Krutthofers folgende Notiz für den Polizeiminister Fouche hinzu:

„Der Brief charakterisiert den Schreiber Krutthofer in München als einen unruhigen Menschen von 1793, der überall Verschwörung sieht und der nach seinem System alles berichtet, wie er will und wie er es vermutet. Aber über die Deutschen sagt er die Wahrheit.“

Dann brechen die Berichte aus München ab. Doch in Paris fand ich neues Material. Im nächsten Jahr - es war 1809 - drang Krutthofer als Geheimdienstler im Generalstab mit Davouts Armee bis Böhmen und Mähren vor. Für die Franzosen spionierte er in Österreich über die besetzten Länder, in großen Tabellen stellte er Wirtschaftsdaten zusammen und bereitete so die wirtschaftliche Ausbeutung der eroberten Gebiete vor.

Lange entdeckte ich nichts Neues mehr, bis sich im Münchner Hauptstaatsarchiv eine Akte findet, die Krutthofer als Unternehmer zeigt. Im Jahr 1811 versucht er, in der Nähe von Altdorf bei Nürnberg ein verlassenes Bergwerk wieder in Gang zu bringen. Das geförderte Gestein will er in den Gebäuden der ehemaligen Universität Altdorf waschen lassen. Doch das Finanzministerium genehmigt diesen Antrag nicht.

Danach komme ich wieder mit der Lektüre von Kirchenbüchern voran. Im badischen Bretten finden sich Taufen seiner Enkel bezeugt. Selbst der Großvater Krutthofer wird erwähnt. Er sei schon gestorben, heißt es im Jahr 1814.

Damit glaube ich, endgültig meine Krutthofer-Akte schließen zu müssen. Eine Chance weiterzukommen, sehe ich nicht mehr.

Aber wie schon früher, suche ich bald wieder weiter, eher aus Gewohnheit. Eine neue Akte findet sich in München. Der alte Dickkopf Krutthofer fordert immer wieder vom Hof vorenthaltenes Geld zurück, noch aus der Zweibrücker Zeit. Na ja, immer dasselbe, denke ich mir. Da verwirrt mich die Angabe über die Laufzeit der Akte: bis zum Jahr 1827. Was, denke ich ungläubig, der Alte hätte noch mit 75 Jahren gelebt?

Krutthofers letzte Schreiben stürzen mich nicht bloß in Verwirrung, schlimmer, in Trauer über das tragische Ende eines fehlgeschlagenen Emanzipationskampfes. Mit zittriger Handschrift formuliert der Greis in Altdorf Eingaben für unzufriedene Bürger. Der einst so konzentriert, oft so verschwiegen war, pflegt nun eine unerträgliche Weitschweifigkeit. Er hat kein großes Ziel mehr vor Augen, eher seine Mittellosigkeit. Alles macht einen verworrenen Eindruck. Der einstige Geheimdienstchef ist gescheitert mit seiner Sehnsucht nach einer deutschen Republik.

Mich beunruhigt die Frage, warum die eigenen Kinder den offenbar schwierigen Alten seit 1814 für tot erklärt hatten. Glaubten sie selbst daran? Oder wollten sie den Nachforschungen der Polizei einen Riegel vorschieben? Oder hatte sich der Enttäuschte mit seinen Kindern endgültig überworfen und ihnen eine Todesmeldung zugespielt?

Alles ist möglich, für keine Version gibt es Anzeichen.

Solange die revolutionäre Bewegung in Süddeutschland erfolgreich war, operierte Krutthofer vom französischen Gebiet aus für eine deutsche Republik.

Jedenfalls zeitweise werden sich die Interessen zweier Seiten zumindest annähernd gedeckt haben: die Interessen des revolutionären Frankreichs und gleichzeitig die Interessen der umsturzwilligen Deutschen.

Das Ziel hieß: eine deutsche Republik. 1804 hatte der Versuch, dieses Ziel zu erreichen, in Deutschland und Frankreich seine Basis endgültig verloren. Es gab keine Bewegung deutscher Demokraten mehr. Krutthofer war nur noch Geheimagent der Franzosen, konnte nicht die geringste Chance für eine deutsche Republik mehr sehen.

Er musste sich entscheiden. Als prinzipienfester Gegner des Adels blieb er lieber bei den Franzosen, trotz Napoleon, trotz des französischen Militarismus. Politisch verschwanden ihm aus dem Horizont des Möglichen alle Ziele, mit denen er seine Identität hätte bewahren können.

So überdauerte er nur noch als kauziger, geschwätziger, verworrener Greis: bröckelnde Ruine einer verlorenen, gar vergessenen revolutionären Zeit.

Trotz alledem will ich nicht nur das traurige Ende festhalten. Krutthofer kämpfte für eine deutsche Republik. In einem Deutschland, in dem revolutionäre Linien meist sehr dünn sind, ist das bemerkenswert.

Dass Krutthofer in seinem Kampf auf Unterstützung von außen setzte, war realistisch. Insofern schätzte er die Machtverhältnisse in Deutschland richtig ein. Aber indem er die Machtinteressen des revolutionären Frankreichs unterschätzte, war er unrealistisch.

Krutthofer hatte seine große Zeit um 1800 und auf publizistischem Gebiet, freilich alles im Geheimen. Damals gelang ihm in seinem Werk, im „Fürsten des 19. Jahrhunderts“, ein glänzendes Selbstporträt als Revolutionär, in einer Mischung aus Ironie und Sarkasmus. Daran ist bis heute nicht alles veraltet, so wie die Versprechungen der Großen Revolution bis heute noch nicht alle eingelöst sind.

„Der Luxus der Untertanen muss sich auf Essen und Trinken beschränken, und der Untertan muss nach getragener Tageslast bei einer Kalbskeule und einer Flasche Moselwein alle Dispute über raffinierte, verfeinerte Gegenstände vergessen. Er kann sich mit den Anekdoten des Tages und übler Nachrede unterhalten; denn es ist vorhinein richtig, dass die am bösesten nachredenden Menschen zugleich die trivialsten und keines großen und edlen Gefühls fähig sind. So mag er zufrieden leben oder sein Leben in tierischen Genüssen hinschwelgen und fett dabei werden. Dicke, fette, kugelrunde Menschen sind nicht zu Revolutionärs gemacht.

Ist aber der Kerl hohläugig, dünnwangig, bleich und klapperdürr wie ein Windhund, so dass man ihn durch ein Nadelöhr jagen könnte, herumirrenden und unsteten Geistes, leicht erregbar und brausend, ernst, denkend, dem Lektüre und Einsamkeit über alles geht, der die Herumsitzerei hasst und die Natur liebt, dann hat er Tendenz zur Revolution. Der Fürst des neunzehnten Jahrhunderts muss dessen Aktivitäten hemmen, wenn er sie nicht für sich gewinnen kann.“

Hellmut G. Haasis

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