Süß Oppenheimer Nachtrag 3
KLAUS POHL: „JUD SÜSS“ ein Theaterstück.
Uraufführung 4. Dezember 1999 in Stuttgart.
Brief des Süß-Biografen Hellmut G. Haasis an seinen Lektor Wolfgang Müller, 5. Dezember 1999 Reutlingen.
Seltener Fall, dass ein Schwabe recht bekommt, dass er nichts wegwerfen soll. Soeben fand ich wieder meinen Originalbrief, den ich gleich nach der Premiere nach Hamburg schickte.
Nach langer Irreführung hatte der Stuttgarter Schauspielintendant Friedl Schirmer Klaus Pohl mit dem Stück beauftragt. Und vorher noch eine Menge Material von mir abgestaubt und Klaus Pohl als dessen eigene Entdeckung zugeschoben.
Wie das so üblich ist im Theatermilieu.
Hier unverändert mein Brief, die Kleinschreibung im Original, von mir seit 1965 angewendet, wenn ich keinem Zwang unterliege.
Das Dokument vollständig für die künftige Süß-Forschung. Den Rezeptions- und Ikonenforscherinnen von Göttingen ins Nähkästchen praktiziert.
Bei dem im Brief genannten Gollenstein-Buch handelt es sich um: Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimers Rache. Erzählung Biographischer Essay Dokumente aus der Haft und dem Prozeß. Mit Illustrationen von Jona Mach und historischen Stichen. Gollenstein Verlag, Blieskastel 1994, 264 Seiten.
„lieber wolfgang,
gestern abend war ich mit gerlinde in der premiere von klaus pohls theaterstück „jud süß“. pohls text kannte ich [der text wurde mir vom chefdramaturgen propfe zugeschickt; zusatz 2008], hatte aber gehofft, dass der regisseur einiges verhindern würde.
in der pause ließ ich noch alles offen, ich erinnerte mich, dass es im 2. teil substantiell besser würde.
meine enttäuschung am ende sah ich bestätigt, als ich mit einigen kennern der materie (u. a. knilli/berlin, kienzle/stuttgart, vor allem aber mit einer vorzüglich vorbereiteten, sehr kritischen und aufmerksamen jüdischen/israelischen fachfrau, professorin an der hochschule für jüdische studien in heidelberg [prof. anat feinberg; zusatz 2008], mir vorgestellt durch prof. hirschfeld, leiter der bibliothek für zeitgeschichte der landesbibliothek) sprach:
pohl hat das stück gründlich in den sand gesetzt, das thema verspielt. ein übles machwerk, von allen seiten zusammengestohlen (die idee einer vor dem gefängnis wartenden menge, die süß lynchen will, stammt ausgerechnet von veit harlans nazifilm „jud süß“), ohne überzeugende konzeption, mit vielen längen und einem kitschigen schluss.
mitten unter dem publikum konnten wir leicht feststellen, dass es den leuten oft einfach langweilig wurde. vor lauter verzweiflung hielten sich die zuschauer an billige strohhalme. so kam trotzige heiterkeit auf, als der diener franz (soll nach pohl ein evangelischer name sein!) von der sparwut seiner schwäbischen ehefrau sprach, die ihm die billigsten wollstrümpfe kaufe, die aber kratzten, und deshalb käme er heute später zum dienst.
oder als süß seine futuristische vision erzählte, er werde das enge stuttgart abreißen und von grund auf neu aufbauen, die leute dürften drin fliegen usw.
großer erfolg, als pohl/süß stuttgart mit der farbe grau kennzeichnete, die süß rauszwingen werde. einfache mittel, immer gut für ein volkstheater, hier ein wenig unter niveau. jedes regionaltheater wäre in der unterhaltung um klassen besser gewesen.
es hat sich als fehlgriff erwiesen, dass die theaterabteilung des rowohlt-verlags pohl die druckfahnen meiner biografie ausgehändigt hat. pohl hat sich ausgiebig bedient, und nach anfänglichem geraune der stuttgarter theaterleitung, vielleicht könnte ich irgendwie miteinbezogen werden, hat der intendant friedel schirmer mich aus jeder, auch der kleinsten mitwirkung hinausgedrängt.
darüber hinaus hielt er es für notwendig, jeden hinweis auf meine biografie auszuschalten. dieser linie folgte pohl im spiegel-interview.
erst im lauf des jahres 1999 hatte mir der stuttgarter dramaturg und stellvertretende intendant propfe per telefon bekannt gegeben, man verzichte auf jede historische anlage von pohls stück, man brauche von mir nichts, weil das stück mit dem historischen süß nichts zu tun haben soll, es sei eine freie gestaltung durch pohl, vorher wollte man von mir unentgeltlich eine klärung der frage, wieviel schlosser an süß‘ käfig mitgearbeitet hatten.
im programmheft kommen rund 80 zeilen von mir, alle aus dem gollenstein-buch. nur hier wurde ich gefragt, und hier hatte ich zugestimmt. es handelt sich um kurze zusammenfassungen des historischen süß, vorwiegend bezogen auf dessen rolle in württemberg und das verbrechen der justiz. aber meine große biografie existiert für das stuttgarter publikum nicht.
im theatergebäude ging es konsequent weiter. im foyer hatte der buchhändler wendelin niedlich büchertische aufgebaut. als ich mein buch nicht sah, fragte ich niedlich, ob er eine süß-biografie hätte. er bedauerte, er habe nur feuchtwangers roman und kenne auch nichts anderes.
die desinformation des publikums ist gewollt und geht auf schirmers handschrift zurück. beim geringsten interesse seitens der leitung hätte ein anruf bei niedlich die aufstellung meiner biografie garantiert.
aus bremen war ein opernsänger gekommen, der henker, der mich in bremen kennengelernt hatte. bei der süß-opfer in bremen herrschte ein ganz anderer stil. pierwoß hat nicht einen autoritären, selbstherrlichen leitungsstil wie schirmer. ich wurde zur generalprobe eingeladen, mit mir wurde ein halbstündiges interview zu süß aufgenommen, das nun jedem opernbesucher vor der aufführung angeboten wird. selbstverständlich wurden ein honorar bezahlt, die reise, das hotel. ich kam mit den leitenden leuten in kontakt, auch mit dem komponisten und dem bühnenbildner. alle bestätigten mir, sie hätten sich das buch gekauft, mit interesse und spannung ganz gelesen und weiterempfohlen. am tag danach wurde ich in eine live-diskussion im theater-café mit radio bremen geholt.
in stuttgart herrscht ein in jeder beziehung konträrer stil. meine biografie soll mit allen mitteln totgeschwiegen werden, wenigstens soweit schirmers macht reicht.
nun zum plagiats-verdacht gegenüber pohls stück. meine beobachtungen mache ich vor einem bestimmten hintergrund: pohl bekam die druckfahnen meiner süß-biografie lange vor dem erscheinen, dennoch deklarierte er im „spiegel“ meine neuheiten in der süß-forschung als ergebnisse seiner eigenen forschungen.
du hast mir mal erzählt, pohl habe im rowohlt-verlag geäußert, er müsse jetzt nach new york fliegen, um dort zu recherchieren.
ich zähle einige punkte für pohls geistige anleihen auf, beileibe nicht alle:
süß‘ schlafzimmer, wohnzimer, büro und tresor sind im stuttgarter stück und bühnenbild ein einziger raum. das ist meine entdeckung auf grund des langen aktenstudiums. das ganze stück spielt im selben raum, nach der pause wird der raum in ein gefängnis umgewandelt.
süß wird bei pohl immer wieder auch historisch richtig dargestellt, z. b. als magenkranker, der rosenwasser als medizin nahm. pohl hätte nie die apotheker-rechnungen im hauptstaatsarchiv gefunden. er erfuhr davon nur aus meiner gollenstein-publikation.
süß habe mit pferdelieferungen von abraham mändel zu tun gehabt. dieser pferdelieferant it erst seit meinem gollenstein-buch bekannt. den brief fand ich in frankfurt. pohl wird nicht behaupten wollen, dass er dort gesucht hat.
süß bekommt in einem brief von einem juwelenhändler aus prag zwei große diamentan angeboten. das geht auf die hebräische korrespondenz zurück, die ich in stuttgart fand. pohl wahrte seine „originalität“ dadurch, dass er aus dem historischen angebot eines diamants zwei machte. eine bescheidene schöpfungskraft.
dasselbe mit einem brief aus würzburg, süß solle in den adelsstand erhoben werden. die ganze geschichte habe ich erstmals quellenmäßig dargestellt, in der biografie.
die verfluchung von süß durch seine mutter michele. das dokument wurde von mir in stuttgart gefunden, bei gollenstein ediert, in der biografie zentral in das kapitel über die mutter eingebracht.
luciana fischer, erst von mir gründlich erforscht, taucht bei pohl auf als ida fischer, den familiennamen glaubte pohl nicht austauschen zu müssen. von der tochter eines regierungsbeamten, von ihrer respektierlichen stellung bei süß wird sie bei pohl heruntergezogen zu einer art bordellmädchen, das süß heiraten will. ihre zentrale rolle gegen das ende von süß‘ stuttgarter leben ist erst bei meinen forschungen herausgekommen, pohl konnte dazu in new york nichts finden.
soweit bis zur pause. da schien das stück noch nach einer freien gestaltung von pohl auszusehen, ohne anspruch auf historische entsprechung und quellenbenützung.
nach der pause schlug der charakter völlig um, nun wurde es historizistisch in einer penetranten ausgiebigkeit. pohl lässt schwierige barocke juristensätze runterlesen, schmeißt mit dem „absolutorium“ u. a. um sich, was nur kenner meiner biografie verstehen können.
gerade in diesem 2. teil seines stückes muss sich pohl an seinen ohne nennung ausgeschlachteten quellen messen lassen.
die mutter besucht süß im gefängnis. sie tröstet ihren sohn mit einem rechtsargument, das erstmals von mir in die süß-literatur gekommen ist: der kaiser schütze alle seine juden im deutschen reich. die verfluchung des sohnes durch die mutter hat pohl bei mir gefunden, man kannte das dokument nicht. das ganze treffen zwischen mutter und sohn hat in wirklichkeit nie statt gefunden. pohl hat damit dem aufgeschlossenen stuttgarter publikum unterschlagen, dass die stuttgarter justiz höllische angst vor einem gespräch zwischen mutter und sohn hatte.
ida fischer (einst luciana fischer) wird süß als schwanger gemeldet. die justiz bedroht sie mit einer „kriminalistischen unterleibsuntersuchung“. das ist meine eigene wortschöpfung (biografie s. 253), kein zitat aus einer akte.
dann häufen sich die abschriften von quellen, die erst ich fand und bei gollenstein edierte. mal wird der konvertit christoph david bernard ausgeschlachtet, mal das protokoll aus süß‘ todeszelle (die religion ändern könne nur ein freier mann). süß hält sich an den gott abrahams, isaaks und jakobs.
den schluss bildet, für das publikum in dieser form unverständlich, der rachegedanke, mit dem ich als erster eine erzählung gestaltete: „joseph süß oppenheimers rache“. die idee der rache kommt bei pohl so vage daher – ein engel schleicht wieder zurück – dass das ganze zu einem kitschigen ende verkommt.
was tun gegenüber der beraubung meiner leistung durch pohl und das stuttgarter theater?
da die rowohlt-theaterabteilung pohl mit meinen druckfahnen versorgt hat, wäre es recht und billig, dass sie
ihn mit meiner stellungnahme oder der des verlags versorgt,
genauso die leitenden leute des staatsschauspiels stuttgart,
bei der drucklegung des stückes, sollte es bei rowohlt herauskommen, verlangt, dass pohl einen hinweis auf meine biografie einfügt.
weitere frage:
ist es möglich und sinnvoll, dass der verlag beim „spiegel“ eine berichtigung verlangt, pohls stück habe sich mehrfach meiner biografie bedient, die deshalb genannt werden müsse?
ich fürchte, das gibt einen ewigen streit. propfe hat mir am telefon die ausrede serviert, pohl habe am ende seine vorliebe für selma stern entdeckt und stütze sich vor allem auf sie – ist natürlich nur eine ausrede, um an mir vorbeizukommen und als behauptung von vorne bis hinten falsch. (.....)
5. 12. 1999“
der verlag schrieb pohl nichts als eine knappe zusammenfassung meines briefes und beließ es bei der bekundung seines missfallens. die notwendige information der theaterwelt wurde natürlich unterlassen.
das stück ist glücklicherweise schnell von der bühne verschwunden. es geistert nun durch die süß-rezeption als ein besonders widerliches antijüdisches stück neuesten datums. darauf können klaus pohl, friedel schirmer und das stuttgarter staatsschauspiel stolz sein.
wie sagte schon der gebürtige schwabe albert einstein? wer kein gutes beispiel abgeben kann, sollte wenigstens ein abschreckendes werden.
(reutlingen, januar 2008)