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VOLKSBUCH DER VERSPOTTETEN PÄPSTE

Zwei Humoristen beim Papst:
GRATWANDERUNG ZWISCHEN SATIRE UND HISTORISCHER WISSENSCHAFT

Hellmut G. Haasis & Heiner Jestrabek (Hg.):
Volksbuch von den verspotteten Päpsten. Ein befreiendes Lachbuch dem Vergessen entrissen.
Mit fröhlich-surrelastischen Collagen von Uli Trostowitsch.
1. Auflage 2011. 170 S, 12 €.
Herausgegeben von der Verlagsgenossenschaft freiheitsbaum Reutlingen u. a. & FreidenkerInnen Ostwürttemberg und Ulm/Neu-Ulm, IBKA Baden-Württemberg.
ISBN 978-3-922589-34-1

GRATWANDERUNG ZWISCHEN SATIRE UND HISTORISCHER WISSENSCHAFT

Hellmut G. Haasis hat schon viele Bücher zur demokratischen Geschichte geschrieben, die Standardwerke geworden sind, u. a. das dreibändige Werk „Spuren der Besiegten“, „Freiheitsbewegungen von den Germanenkämpfen bis zu den Atomkraftgegnern“ und das zweibändige Werk „Gebt der Freiheit Flügel. Die Zeit der deutschen Jakobiner 1789-1805“.

Zusätzlich gibt er die Buchreihe „Blauwolkengasse“ heraus, eine von ihm ausgegrabene „verschüttete Freiheitsbibliothek aus der Zeit der deutschen Jakobiner“.

Der siebte Band dieser Reihe liegt jetzt vor und fällt gleichzeitig deutlich aus der Reihe, was Umfang und Inhalt angeht.

Haasis schreibt in seinem Geleitwort, dass u. a. die Sex-Missbrauchskandale des Klerus nunmehr eine ZWEITE AUFKLÄRUNG nötig machten.

Eine jakobinisch radikale PAPSTSATIRE aus der Französischen Revolution - gedruckt in deutscher Sprache in Nürnberg im Jahr 1792 - wird hier in der o. g. Freiheitsbibliothek der Leserschaft vorgestellt:

„Merkwürdige Reise des Papstes in den Himmel, in die paradiesischen Gerichtshöfe und in die Hölle“

Haasis ist aber nicht nur ein Ausgräber von Freiheitsbewegungen, Biograf (Georg Elser), Erzähler und Dramatiker, sondern auch bekannt als Märchenclown Druiknui und Spaßvogel.

Was liegt also näher, hier eine historische Satire dem heutigen Leser in aktueller Form zu präsentieren, historische Wissenschaft mit satirischer Zeitkritik zu verbinden.

Eine Edition historischer Texte tut gut daran, dem heutigen Leser die Zeitumstände darzustellen und den aktuellen Bezug, also den Bogen zur heutigen zeitkritischen Diskussion, zu ziehen.

Haasis beabsichtigte ursprünglich nur eine Einleitung zu schreiben, der Co-Herausgeber Heiner Jestrabek sollte im Nachwort die Namen und Parteienkämpfe der Französischen Revolution erklären.

Die Herausgeber erweiterten das Projekt aber um eine zeitgenössische anonyme Satire aus dem Jahr 2010, die zusehends selbst zum Hauptteil des vorliegenden Buches wurde:

„Gottfried Lepius & Enrico Marcard:
Ein lauschiger Sommerabend mit dem Papst in Rom“

Vorangestellt werden zunächst „Vier juristische Gutachten
über Straffreiheit oder Straffälligkeit des vorliegenden Gesprächsprotokolls mit Joseph Ratzinger“.

Hierin werden etwaige juristische Argumente gegen die Satire mit satirischen Mittel ad absurdum geführt und daran erinnert, dass unsere Gegenwart noch immer den mittelalterlichen § 166 des StGB kennt, der früher „Gotteslästerungsparagraph“ hieß und zu dessen Opfern schon Wilhelm Busch und George Grosz gehörten.

„Ein lauschiger Sommerabend mit dem Papst“ selbst ist ein Exklusivinterview mit zwei Freidenkern aus Schwaben, das witzige Dialoge, turbulente Szenen und einen überraschenden Schluss enthält.

Wer sich hinter den Pseudonymen Lepusis und Marcard verbirgt, war nicht zu eruieren. Vielleicht wurden Anleihen in der Fabelwelt gemacht?

Die Herausgeber hüllen sich in Schweigen. Sie verweisen
auf die Einleitung: der schöne Text sei im italienischen Schnellzug zwischen Mailand und Zürich gefunden worden.

Schließlich führt Haasis doch noch in den historischen Text ein und Heiner Jestrabek informiert in dem etwas zu theorielastigen Aufsatz „Antiklerikale und antipäpstliche Satiren in der Französischen Revolution und ihre Parteienkämpfe. Mit einer Würdigung des Père Duchesne des Jacques-René Hébert und anderer zeitgenossischer Freidenker“ in die philosophischen und religionspolitischen Hintergründe ein.

Bei dem letztgenannten Autor kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Geschichtswissenschaft nur bemüht wird, um parteinehmend radikaldemokratische Inhalte zu befördern.

Die zahlreichen vorgetragenen Bild- und Textzitate scheinen in ihrer Auswahl ebenfalls dieser Intention folgend radikalste Religionskritik zu propagieren.

Jestrabek stellt sich damit nicht unabsichtlich in eine Traditionslinie des radikalen Publizisten Jacques-René Hébert, dessen Attribute „Kirchengegnerschaft und seine derb-natürliche Sprache“ er ausdrücklich „wiederum besonders originell finde[t].“

Hébert kommt mehrmals selbst in den Sammelband mit scharfen Papstsatiren zu Wort, ebenso Pietro Aretino (Venedig um 1527/30), eine weitere anonyme Papstsatire aus der Zeit des Konstanzer Konzils 1415 und weitere Renaissance-Satiren aus Rom, Toledo (!) u. a.

Nach der Lektüre des Buchs kann man die Erkenntnis gewinnen, dass Päpste und andere religiöse und nichtreligiöse Herrscher für die Menschheit eine Plage waren und sind.

Die Unterdrückten wehrten sich zu Recht mit nie versiegendem Spott und listiger Satire. Diese freien Geister waren Hetze und Verfolgung ausgesetzt, wurden ausgeschnüffelt, inhaftiert und hingerichtet.

Es gelang aber nie, sie völlig verstummen zu lassen. Und künftige Generationen werden vielleicht nur noch verständnislos darüber den Kopf schütteln, dass Dunkelmänner, Päpste und Majestäten einstmals so mächtig waren und versuchten, die menschliche Vernunft einzuschränken.

Das vorliegende Volksbuch enthält zudem ausgezeichnete „fröhlich-surrealistische Collagen“ des Künstlers Uli Trostowitsch – eigens für diesen Band angefertigt, und schon allein deshalb lohnt sich der Kauf.

Dem „Volksbuch der verspotteten Päpste“ sei eine weite Verbreitung gewünscht.

Die Leserschaft wird durch historische Wissens- und Bewusstseinserweitung belohnt – und zumindest in den aktuellen Teilen herzhaft lachen können.

Ein BEFREIENDES LACHBUCH!

Ralph Metzer

Uli Trostowitsch: Ratzinger lässt Geld fischen



 

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