haasis:wortgeburten

 

Norbert Eilts: Typisch Amerikanisch
(im Wortkino, Stuttgart, Verastraße 6)

 

Oktober 2012

Ein Besuch von Hellmut G. Haasis (Reutlingen)

Erste Reihe ist immer gut, wenn man alles mitbekommen will. Frühzeitig die Mäntel auslegen, damit nicht die Falschen ihr Hinterquartier drauf setzen. Die Bühne halbhoch vor uns, fast könnte ich die Füße drauflegen – das wär’ nun wirklich amerikanisch, geht aber im schwäbischen Milieu niemals. Meine Lebensgefährtin sitzt neben mir. Was denken da die Leute über sie?

Illustration des Berliner Künstlers Hans Ticha zu
Karel Capek: Der Krieg mit den Molchen
(Original tschechisch 1936).
Neuer Titel von Hellmut G. Haasis:
Das amerikanische Gewissen bewaffnet

Links oben auf der Bühne ein Leuchtschild „Route 66“. Sagt mir nichts, weil ich immer italophil war und bin und bleibe. Das Land der schnellen Colts und bigotten Kriegszüge nach Vietnam, Irak, Afghanistan usw. ist mir fremd geblieben. Soeben schlag ich digital nach: Aha, Route 66 sei eine legendäre Autobahn.

Schade, dass Norbert Eilts diese Autostraße nicht einbezieht, mit einer Szene typischer Amerikaner. Da käme Leben ins Wortkino, mit gegenseitigen Positionen, Anfeindungen, Anbiederungen, mit Dummheit und gelungenem Witz und hoffentlich einem Pistolengefecht, wenigstens einem ganz kleinen, bitteschön.

Amerika ohne Pistolenschüsse ist nicht echt. Da könnte ich ja gleich zur Heilsarmee gehen.

So unterbelichtet wie ich in Sachen Amerika bin, lass ich mir heute Abend erzählen, was an Amerika typisch sei. Auf der Bühne lümmelt ein Schreibtisch, mit über einem Dutzend männlicher Kopfbedeckungen, die zu den Rollen passen. Hinten mit den Bundesstaaten eine Landkarte, die im Gegensatz zum Wilhelm Busch Stück leider nicht einbezogen wird.

Vorne diskret, fast verschämt - oder ironisch ? - eine Freiheitsstatue, ca. 30 cm hoch. Größer wird man sich Freiheit nicht leisten können.

Die Deutschen sollten bei aller Hektik des flachen Mainstreams nicht verschlafen, dass viele unserer Emigranten unter Adolf dem Braunen von den Vereinigten Staaten aufgenommen wurden. Die Schweiz schickte Tausende von Juden und politischen Flüchtlingen lieber wieder zurück – ungerührt in die deutschen Lager. Den Banken hat das nie geschadet – und darum geht es doch zuerst, überall. Das Bedauern später hat sich sehr in Grenzen gehalten.

Norbert Eilts ist nach vielen guten Stücken im Wortkino weise geworden, er taucht mit grauen Haaren auf. Und bietet einen Crash-Kurs zur Präsidentenwahl. Auch später noch zu gebrauchen. Die Staaten sind heute Weltpolizist Nummer Eins.

Aber sie haben auch eine sympathische Seite: Sie sind der alte Traum Europas. Herausgekrochen aus der Enge, der Beschränktheit und Dummheit der geheiligten alten Zustände.

Flott der Eingang, wie Thomas Jefferson (1743 -1826) seine Unabhängigkeitserklärung (1776) just zu der Zeit formulierte, als im guten alten Württemberg, das sich nicht oft genug als vorbildlich demokratisch hinausposaunt, der regierende Herzog Carl Eugen Tausende seiner Landeskinder als Kanonenfutter ins Ausland verkaufte. Mit dem Segen der Kirche, wie immer.

Was die Schwaben keineswegs mit Unwillen und Rebellion beantworteten, sondern als Gottes Willen hundetreugehorsamst schluckten. Amen.

Jefferson: Die Bürger haben das Recht, eine Regierung abzusetzen - aber ja, und wenn’s nötig ist, immer wieder - und eine neue einzusetzen. Aber der Regierung sollte man mehr auf die Finger sehen. Es taugt nichts, nur die erwischten Diebe einzulochen, wenn als Alternativpersonal nur andere Diebe derselben Mannschaft zugelassen werden.

Zu Füßen dieser altehrwürdigen Freiheitsidee denkt es in mir weiter, das ist das Schöne am Wortkino, wo nur das Wort dominiert, nicht eine Bilderflut, die das Denken verkleistert.

Eine gut organisierte Medienmafia hat es inzwischen geschafft, dass fundamentale Eingriffe der Völker bei ihren Regierungen nicht mehr möglich, wenigstens nicht erlaubt sind.

Wir sind Opfer einer Mediendiktatur, die uns rund um die Uhr und auf allen Kanälen, Säulen und Wänden, im Äther wie auf der Glotze, in eine „Alternativlosigkeit“ reinzementiert.

Kriegsbeteiligungen unserer „freiheitlichen“ Staaten in immer mehr Regionen, mal offener, mal etwas verschämt verdeckt. Waffenproduktion, was die Fabriken und Arbeiter hergeben.

Aber am Sonntag Friedenspredigten, vorne dran der Pfarrer Gauck, jetzt hüpft er auch noch als Bundespräsident herum. Und verzapft soeben bei der Einweihung der neuen Ulmer Synagoge: Ein säkularer Staat könne ohne Religion nicht existieren.

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Religionen sind derzeit an allen Kriegen beteiligt – so war es immer.

LÜGENPACK, rufen wir seit Jahren im Kampf gegen den Stuttgarter Kellerbahnhof 21. Passt auch für den Bundespräsidenten und viele andere.

Mir kommt Charlie Chaplin ins Hirnkastel, der in seinen Filmen dem american way of life nicht folgen wollte, sondern von ganz unten das getretene Leben des Tramps erzählte. Dem amerikanischen Business fiel in einem seiner Filme übel auf, dass Chaplin zu Füßen der Freiheitsstatue die Armen, Gescheiterten, Hoffnungslosen dahinvegetierend zeigte.

Da kannten nach dem Krieg die amerikanischen Herrschaften kein Pardon. Als Chaplin 1952 mit seiner jungen Frau Oona nach Europa fuhr, sägte auf hoher See ein feindseliges Funktelegramm der Einwanderungsbehörde an seinem Lebensnerv:

Entgegen der Abmachungen werde er bei der Rückkehr in die Staaten nicht mehr ins Land gelassen, er müsse sich in Long Island anstellen und um die Gunst der beleidigten Bürokratie betteln. –
Ein Rauswurf.

Die Amerikaner haben eine weltweit leider als Vorbild wirkende Eigenart: Sie geben nationale Fehler, schwere Vergehen ihrer Geschichte und Mentalität nie zu. Stichwort: Ausrottung der Indianer.

Aber das gehört nun wirklich nicht hierher, daran zu erinnern, ist TYISCH TEUTONISCH, gell?

Norbert Eilts spielt mit einer Batschkapp den John Steinbeck (1902-1968), der den amerikanischen Traum lebte. Ein gewaltiger und erfolgreicher Autor, der einen Kleinlaster zum Wohnwagen umbaute und monatelang durchs Land fuhr, auf den Spuren der amerikanischen Mentalität.

Die ersten Siedler reißen sich das angeblich herrenlose Land unter den Nageln, behandeln ihre künftige Heimat wie einen Feind, es gibt nur Ausplünderung. Die Eroberung des Landes geht nicht viel anders vor sich als bei den uralten Israeliten, die plündernd und sengend und mordend und angeblich mit Gottes Willen und Segen das Land Kanaan unterwarfen.

Vorne wurde die Bundeslade getragen, angeblich der Aufenthaltsort ihres leicht transportablen Gottes. Religion und Gottes Auftrag als Rechtfertigung jeder Gewalttat. Mit diesem Stil waren die USA von Anfang an ein heiliges Land und holten sich immer Recht.

Was die US-Amerikaner für ihre Identität brauchen, ist ein vor ihnen liegendes Eroberungsziel, ohne wehleidige Blicke hinter sich auf die Opfer. Sind selber schuld, die Opfer, hätten sie den andern den Weg frei gemacht. Hat man ihnen oft genug gesagt, in Gottes Namen.

Die US-Identität entsteht, fehlerfrei wie beim Papsttum, in blutrünstiger Kampfbereitschaft. Zur Arbeit ging’s mit den Gewehren. So machen es die Israeli noch heute.

Wer so ein bleihaltiges Gefühl mal erleben möchte, fährt am besten Bus in Tel Aviv oder Jerusalem; um uns herum gottgesegnete Waffenträger. Geballte Friedensbereitschaft, voll Munition verschiedener Kaliber.

Und nicht weit weg die neuen illegalen jüdischen Siedler in der Westbank, die palästinensische Siedlungen bewaffnet überfallen. Was gelegentlich selbst der israelischen Polizei zu viel ist.

Aber jetzt ist es genug, sagt der Mainstream. Ist das nicht blanker Antisemitismus? So tönt es seit Jahren. Wer an der israelischen Politik die Gewalttätigkeit, Kriegsbereitschaft, die katastrophale Zerstörung aller Friedensmöglichkeiten kritisiert, ist das ein Antisemit?

Die Israelis werden sich noch daran gewöhnen müssen, dass ihre Kriegspolitik auch vielen Freunden des jüdischen Volkes nicht gefällt. Diese Unterscheidung scheint vielen Kriegstreibern nur schwer erlernbar zu sein. Gerade wer dem jüdischen Volk Frieden gönnt, darf nicht länger die Kriegspolitik von Tel Aviv unwidersprochen lassen. - Das nur nebenbei.

Die Steppe machten die US-Siedler zur Wüste, die Bisons, Nahrungsgrundlage der Indianer, wurden absichtlich vernichtet. Die Indianer brauchten nichts zu essen. Kein Nachdenken über die eigene Zukunft, nur bloß mit den Waffen drauf. Wer zuerst den Colt zieht, gewinnt am ehesten.

Nun ein Försterhut, es wird grün. Der alte Aufklärer Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) erkennt, die Stadt werde das Grab der Menschen. So sehen die größten US-Städte auch aus – und das Modell MANHATTISIERUNG mit unerfreulichen Hochbauten wird auch bei uns vorankommen.

Unter einem Fahrradhelm taucht der Weltmeister des Dopings auf, der siebenfache Tour-de-France-Meisterdoper Lance Armstrong. „Der Krebs war das Beste, was mir passieren konnte.“ Als schuldig wird er sich nie bekennen, seine Anwälte werden’s schon richten.

Erster Höhepunkt, Norbert Eilts verlässt die breiten Pfade des amerikanischen Missionsgeistes. Unter der Pudelmütze bringt er „the answer is blowing in the wind“. Bob Dylan, Protestbewegung, neues Amerika - schon lange Geschichte, aber nicht verstaubt. Eilts wird lockerer und schwäbischer, das freut den Regionalgeist.

Schiebermütze: Die meisten Amerikaner leben in Suburbs, am Rand, ohne Ortsmittelpunkt, das Leben findet in Malls statt, Einkaufszentren. Der Lebenssinn gipfelt im shopping.

Amerikaner sind, dem Großkapital sei Dank, nicht vom Selbstzweifel angenagt, Aufklärung erlebten sie nie, sie hatten den Auftrag Gottes, der ganzen Welt ihre Art der Demokratie beizubiegen. Sie sitzen auf ihrem unangreifbaren Glauben, dass ihr Gott auf den Kollektivwunsch hören werde: „God bless America.“ - Wird er? Zur Zeit sieht es eindeutig nicht danach aus.

Melone: Die aus England flüchtenden ersten Siedler, Pilger, wurden von frommen Calvinisten zu Eroberern, Gott segnete die Waffen und die Morde, tut er noch heute - sofern man’s glauben will.

Dagegen stehen freilich die weit fortgeschrittenen amerikanischen Freidenker, oft Nachfolger unserer emigrierten 1848er Demokraten aus der besiegten deutschen Revolution.

„Gut sein, ist edel. Ein Dutzend verlogener Komplimente ertragen wir leichter als einen aufrechten Tafel.“

Wir sind gelandet beim gemeinsamen europäischen Erbe. Kritiker aller Richtungen liegen nie beim Mainstream, aber dort muss man sich unbedingt niederlassen, wenn man zu money, viel money kommen will. Und das ist des Amerikaners, auch des Europäers Hauptziel.

Religiös neigen sie zum Fundamentalismus, da verstehen sie sich gut mit den gewalttätigen Hauptströmungen der monotheistischen Religionen und liegen miteinander kräftig im Krieg. Natürlich wieder in Gottes Namen.

Deren Gott muss wirklich ein großer Schlafer und Depp sein. Ist überall dabei, wo man andere Menschen umlegt.

Norbert Eilts biegt ein zur Kritik und zur notwendigen Aufklärung. Da bleibt uns der ausgelutschte Langweiler Immanuel Kant von Königsberg nicht erspart, der das Tolerieren der MÜNDIGKEIT in Preußen auf den Denker in der Schreibstube reduzierte, freiwillig.

Hurrah, nächster Höhepunkt: Mark Twain. Ihn hätten wir gerne mal an einem ganzen Abend vorgestellt bekommen. Da gibt es mehr als Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Wikipedia schreibt von ihm Erschröcklyches:

„Er war ein Vertreter des amerikanischen Realismus und ist besonders wegen seiner humoristischen, von Lokalkolorit und genauen Beobachtungen sozialen Verhaltens geprägten Erzählungen sowie aufgrund seiner scharfzüngigen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft berühmt. In seinen Werken beschreibt er den alltäglichen Rassismus; seine Protagonisten durchschauen die Heuchelei und Verlogenheit der herrschenden Verhältnisse.“

Das wäre ein intellektueller Spaß und ein weniger bekanntes Amerika, wie unsere VERBLÖDUNGS-MEDIEN es nicht erzählen.

„Gott hat den Menschen erschaffen, weil er vom Affen enttäuscht war. Danach hat er auf weitere Experimente verzichtet.“

Wir können auf die Fundis aller Länder verzichten.

Norbert Eilts geht ans Eingemachte. Die meisten Amerikaner sehen alles von Gott gesegnet, wie es bei ihnen ist. Da trotzdem nicht alle richtig glauben und nicht richtig handeln und dafür flinke Hände haben, sitzen in Gottes eigenem Land permanent zwei Millionen Gotteskinder im Knast.

Eine respektable Repressionsdichte. Ein netter Gott.

Selbst darin sind die USA groß, größer noch als China und Russland. Ganz vorne das von der Natur gesegnete Kalifornien. Wer dort dreimal verurteilt wird, bekommt lebenslänglich, und sei’s nur wegen einer alten Hose. - Eine angeblich so vorbildliche Demokratie - schlimmer als Diktaturen?

Der Waffenbesitz ist heilig, ein Gesetz dagegen hat selbst nach einem Amoklauf keine Chance. Der Amerikaner hat das Gottesrecht, seinen Nächsten ins Jenseits schicken zu dürfen – wo Gott bereits sehnsüchtig auf das neue Opfer seiner Religion wartet.

32.000 Erschossene im Alltag pro Jahr, bei 200 Millionen Handfeuerwaffen im trauten Heim. Ein Klacks für das gut gepolsterte christliche Gewissen.

Ein Christentum mit rauchendem Colt.

Amerika gibt die Trends vor, noch, bevor China und andere Länder kommen. Freundlichkeit ist in den Staaten im Alltag gepaart mit wahnhafter Gewalttätigkeit. Die unvermeidlich zunehmende Sexualisierung von Öffentlichkeit und Alltag geht einher mit lächerlicher Prüderie.

Und wir Deutsche? Seit Hitlers Blutbad suchen die Deutschen Vorbilder, ohne sich geistig, kulturell und intellektuell verausgaben zu müssen. Also am liebsten Flucht zu einer Nation, wo der Hauptsatz der Philosophie lautet: „Take it easy.“

Zuletzt ein Trost von Norbert Eilts für den Nachhauseweg. Mark Twain: „Als Gott den Menschen erschuf, da war er schon sehr müde. Das erklärt manches.“

Und wenn die Amerikaner eines Tages, pfiffig wie sie sind, erkennen, dass es diesen Gott nie gegeben hat, er sei eine Erfindung bezahlter Geistlicher – da wird es vielleicht nicht lange dauern und die Deutschen schwenken als erste in Europa massenweise um zu den Freidenkern: zu Agnostiker oder gar Atheisten.

Hoffentlich.

Oder biegen sie lieber ins Mittelalter ab?
Alles ist denkbar.

Zuletzt ein weiser Spruch des erfolgreichsten schwäbischen Filmregisseurs in Hollywood, des Roland Emmerich (geb. 1955) aus Sindelfingen, der mit meinem anarchistischen Freund Wolfgang Haug auf der Schulbank saß, erfolgreich, wie man sieht:

„Wenn man lange in den Staaten gelebt hat, erkennt man, dass die Amerikaner gnadenlos oberflächlich sind. Da ist nichts zu ändern.“

Fehlt nur noch, die Schulbank heilig zu sprechen, auf der Roland Emmerich und Wolfgang Haug saßen. Ich habe den Heiligsprechungsprozess in Rom bereits angeregt, eine Antwort steht noch aus.

Oder könnte Hans Küng in Tübingen mit seinem Weltethos helfen?
Ein Papst light.

Hellmut G. Haasis


 

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